Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 3. Leipzig u. a., 1777.Frauenspersonen. Funfzehntes Fragment. Des III. Ban-Vier Profilporträte von Frauen. des LXXXIX. Tafel. 4 Ds. Man weiß schon, besonders in diesem Bande, daß ich theils Raumes, theils anderer Also wieder nur ein Paar ganz trockne physiognomische Urtheile und Lehren -- Unter allen 1. halte ich für die tiefdenkendste, vielwissendste, hoch schwebendste, und dennoch sehr kluge. 2. für die bescheidenste, lernbegierigste, auffassendste. 3. für die poetischste, verschwebteste, geschmackvollste. 4. für die klügste, anstelligste, praktisch verständigste. Mit der ersten spräch' ich am liebsten von der abstraktesten Metaphysik und Theosophie .. Die zweyte, die vom wahren Umrisse der Stirn in diesem Bilde am meisten verloren hat, Die dritte hat ein weit treffenderes Aug in der Natur, doch auch noch das Auge, wie's die R r 3
Frauensperſonen. Funfzehntes Fragment. Des III. Ban-Vier Profilportraͤte von Frauen. des LXXXIX. Tafel. 4 Ds. Man weiß ſchon, beſonders in dieſem Bande, daß ich theils Raumes, theils anderer Alſo wieder nur ein Paar ganz trockne phyſiognomiſche Urtheile und Lehren — Unter allen 1. halte ich fuͤr die tiefdenkendſte, vielwiſſendſte, hoch ſchwebendſte, und dennoch ſehr kluge. 2. fuͤr die beſcheidenſte, lernbegierigſte, auffaſſendſte. 3. fuͤr die poetiſchſte, verſchwebteſte, geſchmackvollſte. 4. fuͤr die kluͤgſte, anſtelligſte, praktiſch verſtaͤndigſte. Mit der erſten ſpraͤch’ ich am liebſten von der abſtrakteſten Metaphyſik und Theoſophie .. Die zweyte, die vom wahren Umriſſe der Stirn in dieſem Bilde am meiſten verloren hat, Die dritte hat ein weit treffenderes Aug in der Natur, doch auch noch das Auge, wie’s die R r 3
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Frauensperſonen.
Funfzehntes Fragment.
Vier Profilportraͤte von Frauen.
Man weiß ſchon, beſonders in dieſem Bande, daß ich theils Raumes, theils anderer
Urſachen wegen keine vollſtaͤndige Charakter von den Urbildern mehr gebe, uͤber deren
Nachbilder ich rede .. Sonſt waͤre hier Stoff genug, manches Gute zu ſagen, und eine vollſtaͤndige
Charakteriſtik der vier Damen, die wir hier vor uns haben — wuͤrde gewiß ſchon ein ganz betraͤcht-
liches Lehrbuch fuͤr Damen von Stande, denn das ſind alle viere, obgleich in ungleichem Grade,
werden koͤnnen. —
Alſo wieder nur ein Paar ganz trockne phyſiognomiſche Urtheile und Lehren — Unter allen
keine gemeine — alle kennbar, und doch alle verunedelt oder veraltert. Alle von demſelben Zeich-
ner gezeichnet, und aller Augenbraunen zu ſchwach und zu hoch uͤber den Augen — und daher alle
ſchwaͤcher, weiblicher, als die Natur.
1. halte ich fuͤr die tiefdenkendſte, vielwiſſendſte, hoch ſchwebendſte, und dennoch ſehr kluge.
2. fuͤr die beſcheidenſte, lernbegierigſte, auffaſſendſte.
3. fuͤr die poetiſchſte, verſchwebteſte, geſchmackvollſte.
4. fuͤr die kluͤgſte, anſtelligſte, praktiſch verſtaͤndigſte.
Mit der erſten ſpraͤch’ ich am liebſten von der abſtrakteſten Metaphyſik und Theoſophie ..
Der Hauptſitz ihrer geiſtreichen Phyſiognomie, das heißt, das auffallendſte und ſprechendſte in un-
ſerm Bilde iſt offenbar die Naſe, beſonders von dem Knopfe oder der Spitze an bis zur Unterlippe.
Die zweyte, die vom wahren Umriſſe der Stirn in dieſem Bilde am meiſten verloren hat,
hat vielleicht unter allen vieren die groͤßten Anlagen; obgleich ſie am mindeſten cultivirt ſeyn mag.
Jhr Blick ſcheint etwas ſchwaches zu haben — Aber Stirn und Naſe bis zur Lippe ſind wahrlich
keiner ſchwachen Seele.
Die dritte hat ein weit treffenderes Aug in der Natur, doch auch noch das Auge, wie’s
hier iſt, iſt Seherauge. Die Stirn iſt unwahr, und bey weitem ſo außerordentlich nicht, wie der
Geiſt — und die Stirne des Urbildes. Das Kenntlichſte und Charaktervollſte dieſes Geſichtes iſt
die
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