welches ist unter diesen beyden der boshafte Verräther -- oder der unschuldig Verrathene? -- wer- det Jhr lang anstehen? Jch zweifle.
Freylich unter zween bestimmten vorliegenden Köpfen, deren Verschiedenheit so auffal- lend ist -- und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei- ligen taxirt wird -- ist die Entscheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, soll darum noch nicht sagen: "er könne den Spitzbuben und den Heiligen am Schädel unterscheiden."
Jch verspar' es auf den letzten Theil dieses Werkes, auf einigen Blättern eine Menge Schädel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen -- und dann urtheilen zu lassen; itzt nur einige wenige --
Und zum Beschlusse dieses Kapitels -- wer weiß nicht die Anekdote aus der per- sischen Geschichte: daß man nämlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schä- del der weichlichen Meder von den Schädeln der mannhaften Perser habe unterscheiden können. Mir deucht, als wenn ich eben dasselbe von den Schweizern und Burgundern hätte sagen hören. Es beweist dieses wenigstens, man gebe zu: "daß man noch an bloßen Schädeln "Unterschied der Lebensart und Stärke -- Unterschied der Nationen sehen könne." --
V. Erste Tafel. Derselbe Schädel zweymal auf Einem Blatte.
Schädel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefsinn besaß -- Kein Trotzkopf! kein Weichling! -- aber auch kein fein empfindender Mann! vernünftig und geschwätzig! -- beynah' alles dieses drückt sich mit ungleicher Bestimmtheit in dem bloßen Schädel aus.
Die Lage des obern ist die natürliche horizontale, ohn' alle Unterstützung. Man denke sich die Gestalt in bestimmte Winkel, und übe sich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird sicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.
Die
XIV. Fragment. Menſchenſchaͤdel.
welches iſt unter dieſen beyden der boshafte Verraͤther — oder der unſchuldig Verrathene? — wer- det Jhr lang anſtehen? Jch zweifle.
Freylich unter zween beſtimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verſchiedenheit ſo auffal- lend iſt — und wovon Einer als der Kopf eines Spitzbuben, der andere als der Kopf eines Hei- ligen taxirt wird — iſt die Entſcheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, ſoll darum noch nicht ſagen: „er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterſcheiden.“
Jch verſpar’ es auf den letzten Theil dieſes Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen — und dann urtheilen zu laſſen; itzt nur einige wenige —
Und zum Beſchluſſe dieſes Kapitels — wer weiß nicht die Anekdote aus der per- ſiſchen Geſchichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ- del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perſer habe unterſcheiden koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben daſſelbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte ſagen hoͤren. Es beweiſt dieſes wenigſtens, man gebe zu: „daß man noch an bloßen Schaͤdeln „Unterſchied der Lebensart und Staͤrke — Unterſchied der Nationen ſehen koͤnne.“ —
V. Erſte Tafel. Derſelbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte.
Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefſinn beſaß — Kein Trotzkopf! kein Weichling! — aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geſchwaͤtzig! — beynah’ alles dieſes druͤckt ſich mit ungleicher Beſtimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus.
Die Lage des obern iſt die natuͤrliche horizontale, ohn’ alle Unterſtuͤtzung. Man denke ſich die Geſtalt in beſtimmte Winkel, und uͤbe ſich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird ſicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.
Die
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Freylich unter zween beſtimmten vorliegenden Koͤpfen, deren Verſchiedenheit ſo auffal-
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ligen taxirt wird — iſt die Entſcheidung unendlich leichter, und wer dieß treffen kann, ſoll darum
noch nicht ſagen: „er koͤnne den Spitzbuben und den Heiligen am Schaͤdel unterſcheiden.“
Jch verſpar’ es auf den letzten Theil dieſes Werkes, auf einigen Blaͤttern eine Menge
Schaͤdel genau nach der Natur, oder nach dem Schatten zu zeichnen — und dann urtheilen zu
laſſen; itzt nur einige wenige —
Und zum Beſchluſſe dieſes Kapitels — wer weiß nicht die Anekdote aus der per-
ſiſchen Geſchichte: daß man naͤmlich viele Jahre nachher auf einem Schlachtfelde die Schaͤ-
del der weichlichen Meder von den Schaͤdeln der mannhaften Perſer habe unterſcheiden
koͤnnen. Mir deucht, als wenn ich eben daſſelbe von den Schweizern und Burgundern haͤtte
ſagen hoͤren. Es beweiſt dieſes wenigſtens, man gebe zu: „daß man noch an bloßen Schaͤdeln
„Unterſchied der Lebensart und Staͤrke — Unterſchied der Nationen ſehen koͤnne.“ —
V.
Erſte Tafel.
Derſelbe Schaͤdel zweymal auf Einem Blatte.
Schaͤdel von einem Manne, der weder Genie war, noch Tiefſinn beſaß — Kein Trotzkopf!
kein Weichling! — aber auch kein fein empfindender Mann! vernuͤnftig und geſchwaͤtzig! —
beynah’ alles dieſes druͤckt ſich mit ungleicher Beſtimmtheit in dem bloßen Schaͤdel aus.
Die Lage des obern iſt die natuͤrliche horizontale, ohn’ alle Unterſtuͤtzung. Man denke
ſich die Geſtalt in beſtimmte Winkel, und uͤbe ſich zu vergleichen und zu rangordnen. Man wird
ſicherlich auf einen neuen Pfad wichtiger Beobachtungen kommen.
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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 2. Leipzig u. a., 1776, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente02_1776/212>, abgerufen am 03.07.2024.
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