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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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gen ließen nicht auf sich warten, Herr van Wälen
sprach vom Könige Pharamund, dem Gründer
des salischen Gesetzes, und den stolzen, gewaltigen
Chlodowigs und Chlotars, die alle in Belgien geses-
sen. Von hier aus, sprach er mit Emphase, ist
Frankreich erobert worden, Belgien ist der Ursitz
der Merowinger, bis heutiges Tags der Mittel-,
Grenz- und Sammelpunkt der romanischen und ger-
manischen Völker.

Jch hatte mich still zwischen Frau und Fräulein
van der Wälen eingeschoben, ließ die politisirenden
Herren im Zimmer auf- und abgehen, und sah bald
in die glänzend dunkelblauen Augen Margarethens,
bald auf die weiße schöne Hand der Mutter. Es
ist gar kein Wunder, daß sich hier eine Malerschule
ausgebildet hat: man findet nicht leicht anderswo
ein lockenderes, schöneres Fleisch, eine lebhaftere
Jncarnation, und auch das Fleisch hat seine Rechte,
ja seine Geheimnisse, es schafft die Form, es sänf-
tigt und hebt die Gedanken, es spiegelt das Blut
und Leben des Menschen -- die ascetischen Leute
müssen alle plastische Kunst verdammen, wenn sie
consequent sein wollen. Die Schönheit des Laokoon

gen ließen nicht auf ſich warten, Herr van Wälen
ſprach vom Könige Pharamund, dem Gründer
des ſaliſchen Geſetzes, und den ſtolzen, gewaltigen
Chlodowigs und Chlotars, die alle in Belgien geſeſ-
ſen. Von hier aus, ſprach er mit Emphaſe, iſt
Frankreich erobert worden, Belgien iſt der Urſitz
der Merowinger, bis heutiges Tags der Mittel-,
Grenz- und Sammelpunkt der romaniſchen und ger-
maniſchen Völker.

Jch hatte mich ſtill zwiſchen Frau und Fräulein
van der Wälen eingeſchoben, ließ die politiſirenden
Herren im Zimmer auf- und abgehen, und ſah bald
in die glänzend dunkelblauen Augen Margarethens,
bald auf die weiße ſchöne Hand der Mutter. Es
iſt gar kein Wunder, daß ſich hier eine Malerſchule
ausgebildet hat: man findet nicht leicht anderswo
ein lockenderes, ſchöneres Fleiſch, eine lebhaftere
Jncarnation, und auch das Fleiſch hat ſeine Rechte,
ja ſeine Geheimniſſe, es ſchafft die Form, es ſänf-
tigt und hebt die Gedanken, es ſpiegelt das Blut
und Leben des Menſchen — die ascetiſchen Leute
müſſen alle plaſtiſche Kunſt verdammen, wenn ſie
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[41/0049] gen ließen nicht auf ſich warten, Herr van Wälen ſprach vom Könige Pharamund, dem Gründer des ſaliſchen Geſetzes, und den ſtolzen, gewaltigen Chlodowigs und Chlotars, die alle in Belgien geſeſ- ſen. Von hier aus, ſprach er mit Emphaſe, iſt Frankreich erobert worden, Belgien iſt der Urſitz der Merowinger, bis heutiges Tags der Mittel-, Grenz- und Sammelpunkt der romaniſchen und ger- maniſchen Völker. Jch hatte mich ſtill zwiſchen Frau und Fräulein van der Wälen eingeſchoben, ließ die politiſirenden Herren im Zimmer auf- und abgehen, und ſah bald in die glänzend dunkelblauen Augen Margarethens, bald auf die weiße ſchöne Hand der Mutter. Es iſt gar kein Wunder, daß ſich hier eine Malerſchule ausgebildet hat: man findet nicht leicht anderswo ein lockenderes, ſchöneres Fleiſch, eine lebhaftere Jncarnation, und auch das Fleiſch hat ſeine Rechte, ja ſeine Geheimniſſe, es ſchafft die Form, es ſänf- tigt und hebt die Gedanken, es ſpiegelt das Blut und Leben des Menſchen — die ascetiſchen Leute müſſen alle plaſtiſche Kunſt verdammen, wenn ſie conſequent ſein wollen. Die Schönheit des Laokoon

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/49>, abgerufen am 26.04.2024.