Erschrecken Sie nicht, lieber Herr Pre- diger, daß Sie anstatt eines Briefes von Madam Leidens einen von mir bekommen. Sie ist nicht krank, gewiß nicht; aber die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage verlassen, und wohnt in einem ganz frem- den Hause, wo sie viel arbeitet, und -- was mir Leid thut -- auch gar schlecht ißt; hören Sie nur wie dieß zugieng! O, ein solcher Engel ist noch nie in eines Reichen, noch in eines Armen Hause ge- wesen! ich kann das nicht so sagen was ich denke, und schreiben kann ich gar nicht. Doch sehen Sie: Jhre Frau weiß, wie arm der Herr G. nach Verlust seines Amts mit Frau und Kindern gewor- den ist. Nun, ich gab immer was; aber ich konnte die Leute nicht dulden; Jeder- mann sagte auch, daß Er hochmüthig und Sie nachläßig wäre, und daß alles Gute
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Madam Hills an Herrn Prediger Br **.
Erſchrecken Sie nicht, lieber Herr Pre- diger, daß Sie anſtatt eines Briefes von Madam Leidens einen von mir bekommen. Sie iſt nicht krank, gewiß nicht; aber die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage verlaſſen, und wohnt in einem ganz frem- den Hauſe, wo ſie viel arbeitet, und — was mir Leid thut — auch gar ſchlecht ißt; hoͤren Sie nur wie dieß zugieng! O, ein ſolcher Engel iſt noch nie in eines Reichen, noch in eines Armen Hauſe ge- weſen! ich kann das nicht ſo ſagen was ich denke, und ſchreiben kann ich gar nicht. Doch ſehen Sie: Jhre Frau weiß, wie arm der Herr G. nach Verluſt ſeines Amts mit Frau und Kindern gewor- den iſt. Nun, ich gab immer was; aber ich konnte die Leute nicht dulden; Jeder- mann ſagte auch, daß Er hochmuͤthig und Sie nachlaͤßig waͤre, und daß alles Gute
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[85/0091]
Madam Hills
an
Herrn Prediger Br **.
Erſchrecken Sie nicht, lieber Herr Pre-
diger, daß Sie anſtatt eines Briefes von
Madam Leidens einen von mir bekommen.
Sie iſt nicht krank, gewiß nicht; aber
die liebe Frau hat mich auf vierzehn Tage
verlaſſen, und wohnt in einem ganz frem-
den Hauſe, wo ſie viel arbeitet, und —
was mir Leid thut — auch gar ſchlecht
ißt; hoͤren Sie nur wie dieß zugieng!
O, ein ſolcher Engel iſt noch nie in eines
Reichen, noch in eines Armen Hauſe ge-
weſen! ich kann das nicht ſo ſagen was
ich denke, und ſchreiben kann ich gar
nicht. Doch ſehen Sie: Jhre Frau
weiß, wie arm der Herr G. nach Verluſt
ſeines Amts mit Frau und Kindern gewor-
den iſt. Nun, ich gab immer was; aber
ich konnte die Leute nicht dulden; Jeder-
mann ſagte auch, daß Er hochmuͤthig und
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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/91>, abgerufen am 30.12.2024.
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