Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Hauptstück, von den einfachen
hen, und besonders versteht Wolf in seiner lateini-
schen Logik durch einfache Begriffe nur solche, denen
keine fremde und veränderlichen Merkmaale einge-
mischt sind, die folglich bloß aus dem wesentlichen
bestehen. So z. E. nennt er den Begriff eines
gleichseitigen Triangels einfach, wenn man sich in
demselben schlechthin nur die drey gleiche und aneinander
schließende Seiten vorstellt, folglich von den Perpen-
dicularen und andern Linien, so darinn gezogen wer-
den könnten etc. abstrahirt. Vermuthlich hat er die-
sem reinen und von allen Nebenumständen entblößten
Begriffe, der allerdings einen Namen verdient, keinen
schicklichen Namen gefunden, ungeachtet es eben nicht
schwer gewesen wäre, denselben ideam incomplexam
zu nennen, weil er ihn den ideis complexis entgegen
setzt, sofern diese nicht schlechthin zusammengesetzt,
sondern mit Nebenumständen, Zufälligkeiten etc. ver-
mengt sind. Denn daß der Begriff eines gleichsei-
tigen Triangels
im eigentlichsten Verstande einfach
sey, würde Wolf um destoweniger behauptet haben,
weil er wider die Lockischen einfachen Begriffe noch
zu erinnern fand, oder wenigstens Sätze gebrauchte,
die solche Begriffe nicht einfach seyn lassen.

§. 39.

Dahin gehört der Satz, daß die Deutlichkeit in
den Begriffen, wenn wir sie vollkommen haben könn-
ten, alle unsre klaren Begriffe gleichsam ganz aus-
lösche, daß wir uns z. E. statt des Lichtes nur eine
Bewegung, Reflexion, Erschütterung der Gesichts-
nerven, folglich ungefehr wie Blinde, vorstellen wür-
den, daß uns einerley Sache mit bloßem Auge
und durch das Vergrößerungsglas betrachtet, im
letzten Fall auch in ihren kleinsten Theilen deutlich,
aber öfters ganz unkenntlich vorkomme etc.

§. 40.

I. Hauptſtuͤck, von den einfachen
hen, und beſonders verſteht Wolf in ſeiner lateini-
ſchen Logik durch einfache Begriffe nur ſolche, denen
keine fremde und veraͤnderlichen Merkmaale einge-
miſcht ſind, die folglich bloß aus dem weſentlichen
beſtehen. So z. E. nennt er den Begriff eines
gleichſeitigen Triangels einfach, wenn man ſich in
demſelben ſchlechthin nur die drey gleiche und aneinander
ſchließende Seiten vorſtellt, folglich von den Perpen-
dicularen und andern Linien, ſo darinn gezogen wer-
den koͤnnten ꝛc. abſtrahirt. Vermuthlich hat er die-
ſem reinen und von allen Nebenumſtaͤnden entbloͤßten
Begriffe, der allerdings einen Namen verdient, keinen
ſchicklichen Namen gefunden, ungeachtet es eben nicht
ſchwer geweſen waͤre, denſelben ideam incomplexam
zu nennen, weil er ihn den ideis complexis entgegen
ſetzt, ſofern dieſe nicht ſchlechthin zuſammengeſetzt,
ſondern mit Nebenumſtaͤnden, Zufaͤlligkeiten ꝛc. ver-
mengt ſind. Denn daß der Begriff eines gleichſei-
tigen Triangels
im eigentlichſten Verſtande einfach
ſey, wuͤrde Wolf um deſtoweniger behauptet haben,
weil er wider die Lockiſchen einfachen Begriffe noch
zu erinnern fand, oder wenigſtens Saͤtze gebrauchte,
die ſolche Begriffe nicht einfach ſeyn laſſen.

§. 39.

Dahin gehoͤrt der Satz, daß die Deutlichkeit in
den Begriffen, wenn wir ſie vollkommen haben koͤnn-
ten, alle unſre klaren Begriffe gleichſam ganz aus-
loͤſche, daß wir uns z. E. ſtatt des Lichtes nur eine
Bewegung, Reflexion, Erſchuͤtterung der Geſichts-
nerven, folglich ungefehr wie Blinde, vorſtellen wuͤr-
den, daß uns einerley Sache mit bloßem Auge
und durch das Vergroͤßerungsglas betrachtet, im
letzten Fall auch in ihren kleinſten Theilen deutlich,
aber oͤfters ganz unkenntlich vorkomme ꝛc.

§. 40.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0500" n="478"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck, von den einfachen</hi></fw><lb/>
hen, und be&#x017F;onders ver&#x017F;teht <hi rendition="#fr">Wolf</hi> in &#x017F;einer lateini-<lb/>
&#x017F;chen Logik durch einfache Begriffe nur &#x017F;olche, denen<lb/>
keine fremde und vera&#x0364;nderlichen Merkmaale einge-<lb/>
mi&#x017F;cht &#x017F;ind, die folglich bloß aus dem we&#x017F;entlichen<lb/>
be&#x017F;tehen. So z. E. nennt er den Begriff eines<lb/>
gleich&#x017F;eitigen Triangels <hi rendition="#fr">einfach,</hi> wenn man &#x017F;ich in<lb/>
dem&#x017F;elben &#x017F;chlechthin nur die drey gleiche und aneinander<lb/>
&#x017F;chließende Seiten vor&#x017F;tellt, folglich von den Perpen-<lb/>
dicularen und andern Linien, &#x017F;o darinn gezogen wer-<lb/>
den ko&#x0364;nnten &#xA75B;c. ab&#x017F;trahirt. Vermuthlich hat er die-<lb/>
&#x017F;em reinen und von allen Nebenum&#x017F;ta&#x0364;nden entblo&#x0364;ßten<lb/>
Begriffe, der allerdings einen Namen verdient, keinen<lb/>
&#x017F;chicklichen Namen gefunden, ungeachtet es eben nicht<lb/>
&#x017F;chwer gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, den&#x017F;elben <hi rendition="#aq">ideam incomplexam</hi><lb/>
zu nennen, weil er ihn den <hi rendition="#aq">ideis complexis</hi> entgegen<lb/>
&#x017F;etzt, &#x017F;ofern die&#x017F;e nicht &#x017F;chlechthin zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt,<lb/>
&#x017F;ondern mit Nebenum&#x017F;ta&#x0364;nden, Zufa&#x0364;lligkeiten &#xA75B;c. ver-<lb/>
mengt &#x017F;ind. Denn daß der Begriff eines <hi rendition="#fr">gleich&#x017F;ei-<lb/>
tigen Triangels</hi> im eigentlich&#x017F;ten Ver&#x017F;tande einfach<lb/>
&#x017F;ey, wu&#x0364;rde <hi rendition="#fr">Wolf</hi> um de&#x017F;toweniger behauptet haben,<lb/>
weil er wider die Locki&#x017F;chen einfachen Begriffe noch<lb/>
zu erinnern fand, oder wenig&#x017F;tens Sa&#x0364;tze gebrauchte,<lb/>
die &#x017F;olche Begriffe nicht einfach &#x017F;eyn la&#x017F;&#x017F;en.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 39.</head><lb/>
            <p>Dahin geho&#x0364;rt der Satz, daß die Deutlichkeit in<lb/>
den Begriffen, wenn wir &#x017F;ie vollkommen haben ko&#x0364;nn-<lb/>
ten, alle un&#x017F;re klaren Begriffe gleich&#x017F;am ganz aus-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;che, daß wir uns z. E. &#x017F;tatt des Lichtes nur eine<lb/>
Bewegung, Reflexion, Er&#x017F;chu&#x0364;tterung der Ge&#x017F;ichts-<lb/>
nerven, folglich ungefehr wie Blinde, vor&#x017F;tellen wu&#x0364;r-<lb/>
den, daß uns einerley Sache mit bloßem Auge<lb/>
und durch das Vergro&#x0364;ßerungsglas betrachtet, im<lb/>
letzten Fall auch in ihren klein&#x017F;ten Theilen deutlich,<lb/>
aber o&#x0364;fters ganz unkenntlich vorkomme &#xA75B;c.</p>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">§. 40.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[478/0500] I. Hauptſtuͤck, von den einfachen hen, und beſonders verſteht Wolf in ſeiner lateini- ſchen Logik durch einfache Begriffe nur ſolche, denen keine fremde und veraͤnderlichen Merkmaale einge- miſcht ſind, die folglich bloß aus dem weſentlichen beſtehen. So z. E. nennt er den Begriff eines gleichſeitigen Triangels einfach, wenn man ſich in demſelben ſchlechthin nur die drey gleiche und aneinander ſchließende Seiten vorſtellt, folglich von den Perpen- dicularen und andern Linien, ſo darinn gezogen wer- den koͤnnten ꝛc. abſtrahirt. Vermuthlich hat er die- ſem reinen und von allen Nebenumſtaͤnden entbloͤßten Begriffe, der allerdings einen Namen verdient, keinen ſchicklichen Namen gefunden, ungeachtet es eben nicht ſchwer geweſen waͤre, denſelben ideam incomplexam zu nennen, weil er ihn den ideis complexis entgegen ſetzt, ſofern dieſe nicht ſchlechthin zuſammengeſetzt, ſondern mit Nebenumſtaͤnden, Zufaͤlligkeiten ꝛc. ver- mengt ſind. Denn daß der Begriff eines gleichſei- tigen Triangels im eigentlichſten Verſtande einfach ſey, wuͤrde Wolf um deſtoweniger behauptet haben, weil er wider die Lockiſchen einfachen Begriffe noch zu erinnern fand, oder wenigſtens Saͤtze gebrauchte, die ſolche Begriffe nicht einfach ſeyn laſſen. §. 39. Dahin gehoͤrt der Satz, daß die Deutlichkeit in den Begriffen, wenn wir ſie vollkommen haben koͤnn- ten, alle unſre klaren Begriffe gleichſam ganz aus- loͤſche, daß wir uns z. E. ſtatt des Lichtes nur eine Bewegung, Reflexion, Erſchuͤtterung der Geſichts- nerven, folglich ungefehr wie Blinde, vorſtellen wuͤr- den, daß uns einerley Sache mit bloßem Auge und durch das Vergroͤßerungsglas betrachtet, im letzten Fall auch in ihren kleinſten Theilen deutlich, aber oͤfters ganz unkenntlich vorkomme ꝛc. §. 40.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/500
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/500>, abgerufen am 22.12.2024.