Cardan eigentlich sagen will. Auf gleiche Art fand sichs, daß Newtons Fluxionen und Leibnitzens Jntegralien einerley Sache anzeigten. Und es trägt sich bey Streitigkeiten nicht selten zu, daß man mehr in den Worten als in der Sache von einander abgeht, und erst findet, daß man beyderseits einer- ley behauptet, nachdem man sich in Ansehung der Worte erklärt hat. Die Streitigkeiten vor und wider die Vernunft, da man sie bald als ein Er- kenntnißvermögen, bald als den Jnnbegriff zusam- menhängender Wahrheiten genommen, bald auch den wahren Zusammenhang mit dem bloß scheinbaren vermengt hat, mögen zum Beyspiel dienen.
§. 697.
Da man demnach in den Wörtern eins seyn muß, um andern verständlich zu bleiben, so mag es hin- gegen angehen, daß, wo man sich mit der bloßen Vorstellung der Sache begnügen will, diese Schwü- rigkeit in sofern wegfalle. Es giebt auch in der That solche Fälle, wo man der Sache zu Gefallen den öfters sehr willkührlichen Umfang der Bedeu- tung eines Wortes (§. 103.) ändern kann. (§. 34. 38.) Dieses geht besonders an, wo eine genauere Eintheilung den Begriffen der Arten einen andern Umfang giebt, als die bisher dabey ge- brauchten Wörter hatten. Auf diese Art hat Leibnitz die Cartesische Eintheilung der krummen Linien geändert, da er gesehen, daß sie sich fügli- cher und brauchbarer in algebraische und transcen- dente, als aber in geometrische und mechanische un- terscheiden lassen.
§. 698.
IX. Hauptſtuͤck,
Cardan eigentlich ſagen will. Auf gleiche Art fand ſichs, daß Newtons Fluxionen und Leibnitzens Jntegralien einerley Sache anzeigten. Und es traͤgt ſich bey Streitigkeiten nicht ſelten zu, daß man mehr in den Worten als in der Sache von einander abgeht, und erſt findet, daß man beyderſeits einer- ley behauptet, nachdem man ſich in Anſehung der Worte erklaͤrt hat. Die Streitigkeiten vor und wider die Vernunft, da man ſie bald als ein Er- kenntnißvermoͤgen, bald als den Jnnbegriff zuſam- menhaͤngender Wahrheiten genommen, bald auch den wahren Zuſammenhang mit dem bloß ſcheinbaren vermengt hat, moͤgen zum Beyſpiel dienen.
§. 697.
Da man demnach in den Woͤrtern eins ſeyn muß, um andern verſtaͤndlich zu bleiben, ſo mag es hin- gegen angehen, daß, wo man ſich mit der bloßen Vorſtellung der Sache begnuͤgen will, dieſe Schwuͤ- rigkeit in ſofern wegfalle. Es giebt auch in der That ſolche Faͤlle, wo man der Sache zu Gefallen den oͤfters ſehr willkuͤhrlichen Umfang der Bedeu- tung eines Wortes (§. 103.) aͤndern kann. (§. 34. 38.) Dieſes geht beſonders an, wo eine genauere Eintheilung den Begriffen der Arten einen andern Umfang giebt, als die bisher dabey ge- brauchten Woͤrter hatten. Auf dieſe Art hat Leibnitz die Carteſiſche Eintheilung der krummen Linien geaͤndert, da er geſehen, daß ſie ſich fuͤgli- cher und brauchbarer in algebraiſche und tranſcen- dente, als aber in geometriſche und mechaniſche un- terſcheiden laſſen.
§. 698.
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IX. Hauptſtuͤck,
Cardan eigentlich ſagen will. Auf gleiche Art fand
ſichs, daß Newtons Fluxionen und Leibnitzens
Jntegralien einerley Sache anzeigten. Und es traͤgt
ſich bey Streitigkeiten nicht ſelten zu, daß man
mehr in den Worten als in der Sache von einander
abgeht, und erſt findet, daß man beyderſeits einer-
ley behauptet, nachdem man ſich in Anſehung der
Worte erklaͤrt hat. Die Streitigkeiten vor und
wider die Vernunft, da man ſie bald als ein Er-
kenntnißvermoͤgen, bald als den Jnnbegriff zuſam-
menhaͤngender Wahrheiten genommen, bald auch
den wahren Zuſammenhang mit dem bloß ſcheinbaren
vermengt hat, moͤgen zum Beyſpiel dienen.
§. 697.
Da man demnach in den Woͤrtern eins ſeyn muß,
um andern verſtaͤndlich zu bleiben, ſo mag es hin-
gegen angehen, daß, wo man ſich mit der bloßen
Vorſtellung der Sache begnuͤgen will, dieſe Schwuͤ-
rigkeit in ſofern wegfalle. Es giebt auch in der
That ſolche Faͤlle, wo man der Sache zu Gefallen
den oͤfters ſehr willkuͤhrlichen Umfang der Bedeu-
tung eines Wortes (§. 103.) aͤndern kann.
(§. 34. 38.) Dieſes geht beſonders an, wo eine
genauere Eintheilung den Begriffen der Arten einen
andern Umfang giebt, als die bisher dabey ge-
brauchten Woͤrter hatten. Auf dieſe Art hat
Leibnitz die Carteſiſche Eintheilung der krummen
Linien geaͤndert, da er geſehen, daß ſie ſich fuͤgli-
cher und brauchbarer in algebraiſche und tranſcen-
dente, als aber in geometriſche und mechaniſche un-
terſcheiden laſſen.
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/468>, abgerufen am 21.11.2024.
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