Linien, und suchte sie in Form eines Triangels zusam- men zu legen. Der Versuch gelingt, die Linien schlies- sen sich, und er bemerkt, daß nun die Winkel schon da sind, und daß, wenn er einen derselben, oder zween oder alle drey ändern will, so gleich auch an der Länge der Seiten etwas geändert werden müsse. Die Sache macht ihn aufmerksam. Er nimmt andre Linien, und findet, daß es Fälle giebt, wo sie sich nicht schließen wollen, und daß er eine der kürzern verlängern müsse etc. Man sieht leicht, daß ein kleiner Versuch von die- ser Art zu fernern Betrachtungen führt, und daß man unvermerkt verleitet wird, Gründe zu suchen.
§. 611.
So weit wollen wir aber hier noch nicht gehen, sondern nur unsern eingeräumten Satz etwas näher betrachten. Er bestund darinn, daß die wissenschaft- liche Erkenntniß sich beschäfftige, Erfahrungen mit Er- fahrungen zu vergleichen. Schon dieser erste Schritt entfernt sie von der gemeinen Erfahrung, weil das bloße Bewußtseyn dieser Erfahrungen in ein genaue- res Beobachten, und öfters in wirkliche Versuche, (§. 557.) verwandelt wird. Denn da die gemeine Erkenntniß solche Erfahrungen nur als abgebrochene Stücke oder einzelne Fragmente dargiebt, so ist klar, daß man sie mit mehrerem Bewußtseyn ansehen müsse, wenn man finden will, was sie in sich halten, wodurch etwann die eine sich mit der andern vergleichen, oder sich durch dieselbe bestimmen lasse. Man untersucht nämlich, wiefern sie einander ähnlich, oder von einander verschieden sind, oder in welchen Verhält- nissen sie gegen einander stehen. Um aber dieses zu finden, muß man sich allerdings den Begriff einer jeden für sich netter aufzuklären suchen. So z. E. vergliech Archimedes die Schwere der Kör-
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von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
Linien, und ſuchte ſie in Form eines Triangels zuſam- men zu legen. Der Verſuch gelingt, die Linien ſchlieſ- ſen ſich, und er bemerkt, daß nun die Winkel ſchon da ſind, und daß, wenn er einen derſelben, oder zween oder alle drey aͤndern will, ſo gleich auch an der Laͤnge der Seiten etwas geaͤndert werden muͤſſe. Die Sache macht ihn aufmerkſam. Er nimmt andre Linien, und findet, daß es Faͤlle giebt, wo ſie ſich nicht ſchließen wollen, und daß er eine der kuͤrzern verlaͤngern muͤſſe ꝛc. Man ſieht leicht, daß ein kleiner Verſuch von die- ſer Art zu fernern Betrachtungen fuͤhrt, und daß man unvermerkt verleitet wird, Gruͤnde zu ſuchen.
§. 611.
So weit wollen wir aber hier noch nicht gehen, ſondern nur unſern eingeraͤumten Satz etwas naͤher betrachten. Er beſtund darinn, daß die wiſſenſchaft- liche Erkenntniß ſich beſchaͤfftige, Erfahrungen mit Er- fahrungen zu vergleichen. Schon dieſer erſte Schritt entfernt ſie von der gemeinen Erfahrung, weil das bloße Bewußtſeyn dieſer Erfahrungen in ein genaue- res Beobachten, und oͤfters in wirkliche Verſuche, (§. 557.) verwandelt wird. Denn da die gemeine Erkenntniß ſolche Erfahrungen nur als abgebrochene Stuͤcke oder einzelne Fragmente dargiebt, ſo iſt klar, daß man ſie mit mehrerem Bewußtſeyn anſehen muͤſſe, wenn man finden will, was ſie in ſich halten, wodurch etwann die eine ſich mit der andern vergleichen, oder ſich durch dieſelbe beſtimmen laſſe. Man unterſucht naͤmlich, wiefern ſie einander aͤhnlich, oder von einander verſchieden ſind, oder in welchen Verhaͤlt- niſſen ſie gegen einander ſtehen. Um aber dieſes zu finden, muß man ſich allerdings den Begriff einer jeden fuͤr ſich netter aufzuklaͤren ſuchen. So z. E. vergliech Archimedes die Schwere der Koͤr-
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von der wiſſenſchaftlichen Erkenntniß.
Linien, und ſuchte ſie in Form eines Triangels zuſam-
men zu legen. Der Verſuch gelingt, die Linien ſchlieſ-
ſen ſich, und er bemerkt, daß nun die Winkel ſchon
da ſind, und daß, wenn er einen derſelben, oder zween
oder alle drey aͤndern will, ſo gleich auch an der Laͤnge
der Seiten etwas geaͤndert werden muͤſſe. Die Sache
macht ihn aufmerkſam. Er nimmt andre Linien, und
findet, daß es Faͤlle giebt, wo ſie ſich nicht ſchließen
wollen, und daß er eine der kuͤrzern verlaͤngern muͤſſe
ꝛc. Man ſieht leicht, daß ein kleiner Verſuch von die-
ſer Art zu fernern Betrachtungen fuͤhrt, und daß
man unvermerkt verleitet wird, Gruͤnde zu ſuchen.
§. 611.
So weit wollen wir aber hier noch nicht gehen,
ſondern nur unſern eingeraͤumten Satz etwas naͤher
betrachten. Er beſtund darinn, daß die wiſſenſchaft-
liche Erkenntniß ſich beſchaͤfftige, Erfahrungen mit Er-
fahrungen zu vergleichen. Schon dieſer erſte Schritt
entfernt ſie von der gemeinen Erfahrung, weil das
bloße Bewußtſeyn dieſer Erfahrungen in ein genaue-
res Beobachten, und oͤfters in wirkliche Verſuche,
(§. 557.) verwandelt wird. Denn da die gemeine
Erkenntniß ſolche Erfahrungen nur als abgebrochene
Stuͤcke oder einzelne Fragmente dargiebt, ſo iſt klar,
daß man ſie mit mehrerem Bewußtſeyn anſehen muͤſſe,
wenn man finden will, was ſie in ſich halten, wodurch
etwann die eine ſich mit der andern vergleichen, oder
ſich durch dieſelbe beſtimmen laſſe. Man unterſucht
naͤmlich, wiefern ſie einander aͤhnlich, oder von
einander verſchieden ſind, oder in welchen Verhaͤlt-
niſſen ſie gegen einander ſtehen. Um aber dieſes zu
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Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 1. Leipzig, 1764, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon01_1764/415>, abgerufen am 21.11.2024.
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