zu seyn scheint, im Reiche der Wahrheit, wo alles, als bereits auseinander gelesen und in Ordnung ge- legt, betrachtet werden muß, aufhöret, willkührlich zu scheinen.
§. 469.
Man hat aus diesem, aber nicht genug entwickel- ten Grunde, in der Metaphysic mit der Theorie des Zusammenhanges auch die Theorie des Grundes und des Gegründeten gleich nach der Theorie des Mögli- chen angefangen, und besonders den Satz des zurei- chenden Grundes dem Satze des Widerspruches an die Seite gesetzet, seit dem Leibnitz denselben auf- gebracht und gleichsam Mode gemacht hat. Den Satz selbst drückt man gemeiniglich so aus, daß alles seinen zureichenden Grund habe, oder daß nichts ohne zureichenden Grund sey. Wir ha- ben in der Alethiologie (§. 222. seqq.) angemerket, daß das Wort Grund etwas Vieldeutiges habe, daß, wenn man, in Absicht auf die Kräfte des Ver- standes, Gründe des Wahren dadurch versteht, die Gründea priori von den Gründena posteriori müssen unterschieden werden; daß was für sich als wahr erkennbar ist, keines Grundes bedürfe; daß, wenn nichts mögliches für sich als wahr erkennbar ist, alles Mögliche nothwendig einen Grund haben müsse; daß wir von allem, was wir nicht für sich als wahr erkennen, befugt sind, einen Grund zu fordern; daß nothwendig etwas für sich erkennbares zugegeben werden müsse, das keinen fernern Grund a priori habe; daß aber, wenn man den Unterschied der Grün- de a priori und a posteriori wegläßt, man von allem Möglichen vorwärts oder rückwärts Gründe finden könne etc.
§. 470.
XV. Hauptſtuͤck.
zu ſeyn ſcheint, im Reiche der Wahrheit, wo alles, als bereits auseinander geleſen und in Ordnung ge- legt, betrachtet werden muß, aufhoͤret, willkuͤhrlich zu ſcheinen.
§. 469.
Man hat aus dieſem, aber nicht genug entwickel- ten Grunde, in der Metaphyſic mit der Theorie des Zuſammenhanges auch die Theorie des Grundes und des Gegruͤndeten gleich nach der Theorie des Moͤgli- chen angefangen, und beſonders den Satz des zurei- chenden Grundes dem Satze des Widerſpruches an die Seite geſetzet, ſeit dem Leibnitz denſelben auf- gebracht und gleichſam Mode gemacht hat. Den Satz ſelbſt druͤckt man gemeiniglich ſo aus, daß alles ſeinen zureichenden Grund habe, oder daß nichts ohne zureichenden Grund ſey. Wir ha- ben in der Alethiologie (§. 222. ſeqq.) angemerket, daß das Wort Grund etwas Vieldeutiges habe, daß, wenn man, in Abſicht auf die Kraͤfte des Ver- ſtandes, Gruͤnde des Wahren dadurch verſteht, die Gruͤndea priori von den Gruͤndena poſteriori muͤſſen unterſchieden werden; daß was fuͤr ſich als wahr erkennbar iſt, keines Grundes beduͤrfe; daß, wenn nichts moͤgliches fuͤr ſich als wahr erkennbar iſt, alles Moͤgliche nothwendig einen Grund haben muͤſſe; daß wir von allem, was wir nicht fuͤr ſich als wahr erkennen, befugt ſind, einen Grund zu fordern; daß nothwendig etwas fuͤr ſich erkennbares zugegeben werden muͤſſe, das keinen fernern Grund a priori habe; daß aber, wenn man den Unterſchied der Gruͤn- de a priori und a poſteriori weglaͤßt, man von allem Moͤglichen vorwaͤrts oder ruͤckwaͤrts Gruͤnde finden koͤnne ꝛc.
§. 470.
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XV. Hauptſtuͤck.
zu ſeyn ſcheint, im Reiche der Wahrheit, wo alles,
als bereits auseinander geleſen und in Ordnung ge-
legt, betrachtet werden muß, aufhoͤret, willkuͤhrlich
zu ſcheinen.
§. 469.
Man hat aus dieſem, aber nicht genug entwickel-
ten Grunde, in der Metaphyſic mit der Theorie des
Zuſammenhanges auch die Theorie des Grundes und
des Gegruͤndeten gleich nach der Theorie des Moͤgli-
chen angefangen, und beſonders den Satz des zurei-
chenden Grundes dem Satze des Widerſpruches an
die Seite geſetzet, ſeit dem Leibnitz denſelben auf-
gebracht und gleichſam Mode gemacht hat. Den
Satz ſelbſt druͤckt man gemeiniglich ſo aus, daß
alles ſeinen zureichenden Grund habe, oder daß
nichts ohne zureichenden Grund ſey. Wir ha-
ben in der Alethiologie (§. 222. ſeqq.) angemerket,
daß das Wort Grund etwas Vieldeutiges habe,
daß, wenn man, in Abſicht auf die Kraͤfte des Ver-
ſtandes, Gruͤnde des Wahren dadurch verſteht,
die Gruͤnde a priori von den Gruͤnden a poſteriori
muͤſſen unterſchieden werden; daß was fuͤr ſich als
wahr erkennbar iſt, keines Grundes beduͤrfe; daß,
wenn nichts moͤgliches fuͤr ſich als wahr erkennbar
iſt, alles Moͤgliche nothwendig einen Grund haben
muͤſſe; daß wir von allem, was wir nicht fuͤr ſich als
wahr erkennen, befugt ſind, einen Grund zu fordern;
daß nothwendig etwas fuͤr ſich erkennbares zugegeben
werden muͤſſe, das keinen fernern Grund a priori
habe; daß aber, wenn man den Unterſchied der Gruͤn-
de a priori und a poſteriori weglaͤßt, man von allem
Moͤglichen vorwaͤrts oder ruͤckwaͤrts Gruͤnde finden
koͤnne ꝛc.
§. 470.
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Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 2. Riga, 1771, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic02_1771/96>, abgerufen am 21.12.2024.
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