Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.einer wissenschaftlichen Grundlehre. Erfordernisse voraus. Das definirte Wort mußeinen möglichen und richtigen Begriff vorstel- len, und die Definition muß diesen Begriff ge- nau angeben. Wo etwas hieran fehlt, da kommen früh oder spät Widersprüche und Ungereimtheiten her- aus, dergleichen die Metaphysic bisher noch immer theils gehabt, theils zu haben geschienen. Demnach müssen diese beyden Erfordernisse bey jeder Definition entweder erwiesen werden, oder für sich einleuch- tend seyn. Letzteres fällt weg, weil einfache Begriffe nicht können durch innere Merkmaale definirt werden, zusammengesetzte aber schlechthin einen Beweis ihrer Allgemeinheit und Möglichkeit fordern (§. 7. 20.). Die Folge, die wir hieraus ziehen, ist, daß, wenn man in der Grundlehre nicht bey den einfachen Begriffen anfängt, sondern sie mit den andern vermengt läßt, es immer das Ansehen habe, als wenn des Definirens und Beweisens kein Ende wäre. Denn die Beweise müßten sich auf Definitionen gründen, und Definitionen bewiesen wer- den. Dabey sind nun logische Cirkel im Beweisen und Definiren nicht zu vermeiden, um so mehr, da die Sprache nicht jede Wörter hat, die man allen- falls zu solchen immer fortgesetzten Definitionen ge- brauchen müßte. §. 23. Wir haben bereits (§. 12. 13.) angemerket, wie dern B 2
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre. Erforderniſſe voraus. Das definirte Wort mußeinen moͤglichen und richtigen Begriff vorſtel- len, und die Definition muß dieſen Begriff ge- nau angeben. Wo etwas hieran fehlt, da kommen fruͤh oder ſpaͤt Widerſpruͤche und Ungereimtheiten her- aus, dergleichen die Metaphyſic bisher noch immer theils gehabt, theils zu haben geſchienen. Demnach muͤſſen dieſe beyden Erforderniſſe bey jeder Definition entweder erwieſen werden, oder fuͤr ſich einleuch- tend ſeyn. Letzteres faͤllt weg, weil einfache Begriffe nicht koͤnnen durch innere Merkmaale definirt werden, zuſammengeſetzte aber ſchlechthin einen Beweis ihrer Allgemeinheit und Moͤglichkeit fordern (§. 7. 20.). Die Folge, die wir hieraus ziehen, iſt, daß, wenn man in der Grundlehre nicht bey den einfachen Begriffen anfaͤngt, ſondern ſie mit den andern vermengt laͤßt, es immer das Anſehen habe, als wenn des Definirens und Beweiſens kein Ende waͤre. Denn die Beweiſe muͤßten ſich auf Definitionen gruͤnden, und Definitionen bewieſen wer- den. Dabey ſind nun logiſche Cirkel im Beweiſen und Definiren nicht zu vermeiden, um ſo mehr, da die Sprache nicht jede Woͤrter hat, die man allen- falls zu ſolchen immer fortgeſetzten Definitionen ge- brauchen muͤßte. §. 23. Wir haben bereits (§. 12. 13.) angemerket, wie dern B 2
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einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
Erforderniſſe voraus. Das definirte Wort muß
einen moͤglichen und richtigen Begriff vorſtel-
len, und die Definition muß dieſen Begriff ge-
nau angeben. Wo etwas hieran fehlt, da kommen
fruͤh oder ſpaͤt Widerſpruͤche und Ungereimtheiten her-
aus, dergleichen die Metaphyſic bisher noch immer
theils gehabt, theils zu haben geſchienen. Demnach
muͤſſen dieſe beyden Erforderniſſe bey jeder Definition
entweder erwieſen werden, oder fuͤr ſich einleuch-
tend ſeyn. Letzteres faͤllt weg, weil einfache Begriffe
nicht koͤnnen durch innere Merkmaale definirt werden,
zuſammengeſetzte aber ſchlechthin einen Beweis ihrer
Allgemeinheit und Moͤglichkeit fordern (§. 7. 20.).
Die Folge, die wir hieraus ziehen, iſt, daß, wenn
man in der Grundlehre nicht bey den einfachen
Begriffen anfaͤngt, ſondern ſie mit den andern
vermengt laͤßt, es immer das Anſehen habe,
als wenn des Definirens und Beweiſens kein
Ende waͤre. Denn die Beweiſe muͤßten ſich auf
Definitionen gruͤnden, und Definitionen bewieſen wer-
den. Dabey ſind nun logiſche Cirkel im Beweiſen
und Definiren nicht zu vermeiden, um ſo mehr, da
die Sprache nicht jede Woͤrter hat, die man allen-
falls zu ſolchen immer fortgeſetzten Definitionen ge-
brauchen muͤßte.
§. 23.
Wir haben bereits (§. 12. 13.) angemerket, wie
Euclid, dem Wolf nachzuahmen ſuchte, ganz an-
ders verfahren, und ſeine zuſammengeſetzte Begriffe
aus den einfachen gebildet und erwieſen habe, und
daß man ihm in der Grundlehre auch hierinn nach-
ahmen muͤſſe. So fern man dieſes thun kann, ver-
faͤhrt man auf eine ganz umgekehrte Art. Man
nimmt den Begriff, nicht wie man ihn findet, ſon-
dern
B 2
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Zitationshilfe: | Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/55>, abgerufen am 23.02.2025. |