Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.einer wissenschaftlichen Grundlehre. Nachfolger, welche die erste Anlage hätten ins Fei-nere ausarbeiten und weiter gehen sollen, durften sich deswegen nicht daran wagen, weil sie sich den Aristoteles, als ein untrügliches Orakel vorstelle- ten, welches ihnen lauter Wahrheiten und mit einem Male alle angegeben habe. Sie verwandelten seine Metaphysic in ein Register von Wörtern, Unter- scheidungen und Fragen, welche sämmtlich mehr diene- ten, die menschliche Erkenntniß dunkeler, verworre- ner und ungewisser zu machen, als ihre allgemeine Gründe in ein helleres Licht zu setzen, und sie der Anwendung näher zu bringen. So bliebe die Meta- physic viele Jahrhunderte, und wurde endlich zum Gegenstande des Gespöttes und der Verachtung. Man sah sie, von einer andern und wichtigern Seite betrachtet, als ein Meer an, wo, wer sich darauf wagete, weder ganz hinüber noch in den Port zurücke kommen konnte, und wo man entweder sich gar nicht darauf begeben oder ganz durchsetzen mußte. §. 5. Ungeachtet man nicht in Abrede seyn kann, daß §. 6. A 2
einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre. Nachfolger, welche die erſte Anlage haͤtten ins Fei-nere ausarbeiten und weiter gehen ſollen, durften ſich deswegen nicht daran wagen, weil ſie ſich den Ariſtoteles, als ein untruͤgliches Orakel vorſtelle- ten, welches ihnen lauter Wahrheiten und mit einem Male alle angegeben habe. Sie verwandelten ſeine Metaphyſic in ein Regiſter von Woͤrtern, Unter- ſcheidungen und Fragen, welche ſaͤmmtlich mehr diene- ten, die menſchliche Erkenntniß dunkeler, verworre- ner und ungewiſſer zu machen, als ihre allgemeine Gruͤnde in ein helleres Licht zu ſetzen, und ſie der Anwendung naͤher zu bringen. So bliebe die Meta- phyſic viele Jahrhunderte, und wurde endlich zum Gegenſtande des Geſpoͤttes und der Verachtung. Man ſah ſie, von einer andern und wichtigern Seite betrachtet, als ein Meer an, wo, wer ſich darauf wagete, weder ganz hinuͤber noch in den Port zuruͤcke kommen konnte, und wo man entweder ſich gar nicht darauf begeben oder ganz durchſetzen mußte. §. 5. Ungeachtet man nicht in Abrede ſeyn kann, daß §. 6. A 2
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einer wiſſenſchaftlichen Grundlehre.
Nachfolger, welche die erſte Anlage haͤtten ins Fei-
nere ausarbeiten und weiter gehen ſollen, durften
ſich deswegen nicht daran wagen, weil ſie ſich den
Ariſtoteles, als ein untruͤgliches Orakel vorſtelle-
ten, welches ihnen lauter Wahrheiten und mit einem
Male alle angegeben habe. Sie verwandelten ſeine
Metaphyſic in ein Regiſter von Woͤrtern, Unter-
ſcheidungen und Fragen, welche ſaͤmmtlich mehr diene-
ten, die menſchliche Erkenntniß dunkeler, verworre-
ner und ungewiſſer zu machen, als ihre allgemeine
Gruͤnde in ein helleres Licht zu ſetzen, und ſie der
Anwendung naͤher zu bringen. So bliebe die Meta-
phyſic viele Jahrhunderte, und wurde endlich zum
Gegenſtande des Geſpoͤttes und der Verachtung.
Man ſah ſie, von einer andern und wichtigern Seite
betrachtet, als ein Meer an, wo, wer ſich darauf
wagete, weder ganz hinuͤber noch in den Port zuruͤcke
kommen konnte, und wo man entweder ſich gar nicht
darauf begeben oder ganz durchſetzen mußte.
§. 5.
Ungeachtet man nicht in Abrede ſeyn kann, daß
nicht einige Anhaͤnger des Ariſtoteles beſſeres Licht
ſuchten, ſo war doch Baco der erſte, der die Vor-
urtheile, wohin das von dem Anſehen des Ariſto-
teles mit gehoͤrete, genauer ins Licht ſetzte, und be-
ſonders in der Naturlehre die Erfahrungen, Be-
obachtungen und Verſuche, als Probierſteine und
Quellen einer zuverlaͤßigern Erkenntniß vorſchlug.
Man folgte hierinn ſeinem Vorſchlage, und ſetzte
die Natur an die Stelle des Ariſtoteles, zur Lehre-
rinn. Und dadurch kam die Naturlehre in den beſ-
ſern Zuſtand, in welchem wir ſie dermalen haben.
§. 6.
A 2
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