Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Volle und das Durchgängige.
durch die erstern eingeschränket ist. Diese Einschrän-
kung wird nun durch die erst angeführte Bedingung,
daß die ersten Regeln am meisten unbestimmt lassen
sollen, noch am glücklichsten vermieden, wenn man
bey solchen anfängt. Denn so stellet man sich an-
fänglich den Plan im Ganzen vor, man bestimmet
seine Haupttheile, und sodann die Theile von diesen
Haupttheilen stufenweise, bis man endlich das ganze
Detail vor sich hat. Hingegen ist man mehrentheils
mehr eingeschränkt, wenn man weder in Ansehung
der Regeln nach der anzuordnenden Theile eine völlig
freye Wahl hat, sondern sich in Absicht auf beyde
nach den Umständen richten muß. Das bekannte
Non ex quouis ligno fit Mercurius, zeiget eine solche
Einschränkung in der Auswahl an. Und es gebraucht
mehrere Combinationen der vorgegebenen Umstände,
Dinge, Regeln und Absichten, wenn man sie öfters
auch nur auf eine erträgliche Art zusammen rich-
ten will.

§. 354.

Die erstbetrachtete Verflechtung des Aehnlichen
und Verschiedenen, wenn sie auf ihr Maximum ge-
bracht wird, macht eine Art von Vollkommenheit
aus, welche wir überhaupt ideal nennen können, weil
sie fast ganz nur auf der Vergleichung der Dinge
beruhet. Man nennet sie insbesondere eine Schön-
heit,
wenn sie in die Sinnen fällt, und in so fern
ist sie bey der Baukunst, Malerkunst, Tonkunst,
Dichtkunst etc. eine Hauptabsicht mit, weil sie etwas
gefallendes hat.

§. 355.

Wir merken nun ferner an, daß unter den vor-
hin (§. 352.) angeführten Redensarten die sechste und

siebente
Y 5

Das Volle und das Durchgaͤngige.
durch die erſtern eingeſchraͤnket iſt. Dieſe Einſchraͤn-
kung wird nun durch die erſt angefuͤhrte Bedingung,
daß die erſten Regeln am meiſten unbeſtimmt laſſen
ſollen, noch am gluͤcklichſten vermieden, wenn man
bey ſolchen anfaͤngt. Denn ſo ſtellet man ſich an-
faͤnglich den Plan im Ganzen vor, man beſtimmet
ſeine Haupttheile, und ſodann die Theile von dieſen
Haupttheilen ſtufenweiſe, bis man endlich das ganze
Détail vor ſich hat. Hingegen iſt man mehrentheils
mehr eingeſchraͤnkt, wenn man weder in Anſehung
der Regeln nach der anzuordnenden Theile eine voͤllig
freye Wahl hat, ſondern ſich in Abſicht auf beyde
nach den Umſtaͤnden richten muß. Das bekannte
Non ex quouis ligno fit Mercurius, zeiget eine ſolche
Einſchraͤnkung in der Auswahl an. Und es gebraucht
mehrere Combinationen der vorgegebenen Umſtaͤnde,
Dinge, Regeln und Abſichten, wenn man ſie oͤfters
auch nur auf eine ertraͤgliche Art zuſammen rich-
ten will.

§. 354.

Die erſtbetrachtete Verflechtung des Aehnlichen
und Verſchiedenen, wenn ſie auf ihr Maximum ge-
bracht wird, macht eine Art von Vollkommenheit
aus, welche wir uͤberhaupt ideal nennen koͤnnen, weil
ſie faſt ganz nur auf der Vergleichung der Dinge
beruhet. Man nennet ſie insbeſondere eine Schoͤn-
heit,
wenn ſie in die Sinnen faͤllt, und in ſo fern
iſt ſie bey der Baukunſt, Malerkunſt, Tonkunſt,
Dichtkunſt ꝛc. eine Hauptabſicht mit, weil ſie etwas
gefallendes hat.

§. 355.

Wir merken nun ferner an, daß unter den vor-
hin (§. 352.) angefuͤhrten Redensarten die ſechſte und

ſiebente
Y 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0381" n="345"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Das Volle und das Durchga&#x0364;ngige.</hi></fw><lb/>
durch die er&#x017F;tern einge&#x017F;chra&#x0364;nket i&#x017F;t. Die&#x017F;e Ein&#x017F;chra&#x0364;n-<lb/>
kung wird nun durch die er&#x017F;t angefu&#x0364;hrte Bedingung,<lb/>
daß die er&#x017F;ten Regeln am mei&#x017F;ten unbe&#x017F;timmt la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ollen, noch am glu&#x0364;cklich&#x017F;ten vermieden, wenn man<lb/>
bey &#x017F;olchen anfa&#x0364;ngt. Denn &#x017F;o &#x017F;tellet man &#x017F;ich an-<lb/>
fa&#x0364;nglich den Plan im Ganzen vor, man be&#x017F;timmet<lb/>
&#x017F;eine Haupttheile, und &#x017F;odann die Theile von die&#x017F;en<lb/>
Haupttheilen &#x017F;tufenwei&#x017F;e, bis man endlich das ganze<lb/><hi rendition="#aq">Détail</hi> vor &#x017F;ich hat. Hingegen i&#x017F;t man mehrentheils<lb/>
mehr einge&#x017F;chra&#x0364;nkt, wenn man weder in An&#x017F;ehung<lb/>
der Regeln nach der anzuordnenden Theile eine vo&#x0364;llig<lb/>
freye Wahl hat, &#x017F;ondern &#x017F;ich in Ab&#x017F;icht auf beyde<lb/>
nach den Um&#x017F;ta&#x0364;nden richten muß. Das bekannte<lb/><hi rendition="#aq">Non ex quouis ligno fit Mercurius,</hi> zeiget eine &#x017F;olche<lb/>
Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung in der Auswahl an. Und es gebraucht<lb/>
mehrere Combinationen der vorgegebenen Um&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
Dinge, Regeln und Ab&#x017F;ichten, wenn man &#x017F;ie o&#x0364;fters<lb/>
auch nur auf eine ertra&#x0364;gliche Art zu&#x017F;ammen rich-<lb/>
ten will.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 354.</head><lb/>
            <p>Die er&#x017F;tbetrachtete Verflechtung des Aehnlichen<lb/>
und Ver&#x017F;chiedenen, wenn &#x017F;ie auf ihr <hi rendition="#aq">Maximum</hi> ge-<lb/>
bracht wird, macht eine <hi rendition="#fr">Art</hi> von Vollkommenheit<lb/>
aus, welche wir u&#x0364;berhaupt <hi rendition="#fr">ideal</hi> nennen ko&#x0364;nnen, weil<lb/>
&#x017F;ie fa&#x017F;t ganz nur auf der <hi rendition="#fr">Vergleichung der Dinge</hi><lb/>
beruhet. Man nennet &#x017F;ie insbe&#x017F;ondere eine <hi rendition="#fr">Scho&#x0364;n-<lb/>
heit,</hi> wenn &#x017F;ie in die Sinnen fa&#x0364;llt, und in &#x017F;o fern<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ie bey der Baukun&#x017F;t, Malerkun&#x017F;t, Tonkun&#x017F;t,<lb/>
Dichtkun&#x017F;t &#xA75B;c. eine Hauptab&#x017F;icht mit, weil &#x017F;ie etwas<lb/>
gefallendes hat.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 355.</head><lb/>
            <p>Wir merken nun ferner an, daß unter den vor-<lb/>
hin (§. 352.) angefu&#x0364;hrten Redensarten die &#x017F;ech&#x017F;te und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Y 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;iebente</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0381] Das Volle und das Durchgaͤngige. durch die erſtern eingeſchraͤnket iſt. Dieſe Einſchraͤn- kung wird nun durch die erſt angefuͤhrte Bedingung, daß die erſten Regeln am meiſten unbeſtimmt laſſen ſollen, noch am gluͤcklichſten vermieden, wenn man bey ſolchen anfaͤngt. Denn ſo ſtellet man ſich an- faͤnglich den Plan im Ganzen vor, man beſtimmet ſeine Haupttheile, und ſodann die Theile von dieſen Haupttheilen ſtufenweiſe, bis man endlich das ganze Détail vor ſich hat. Hingegen iſt man mehrentheils mehr eingeſchraͤnkt, wenn man weder in Anſehung der Regeln nach der anzuordnenden Theile eine voͤllig freye Wahl hat, ſondern ſich in Abſicht auf beyde nach den Umſtaͤnden richten muß. Das bekannte Non ex quouis ligno fit Mercurius, zeiget eine ſolche Einſchraͤnkung in der Auswahl an. Und es gebraucht mehrere Combinationen der vorgegebenen Umſtaͤnde, Dinge, Regeln und Abſichten, wenn man ſie oͤfters auch nur auf eine ertraͤgliche Art zuſammen rich- ten will. §. 354. Die erſtbetrachtete Verflechtung des Aehnlichen und Verſchiedenen, wenn ſie auf ihr Maximum ge- bracht wird, macht eine Art von Vollkommenheit aus, welche wir uͤberhaupt ideal nennen koͤnnen, weil ſie faſt ganz nur auf der Vergleichung der Dinge beruhet. Man nennet ſie insbeſondere eine Schoͤn- heit, wenn ſie in die Sinnen faͤllt, und in ſo fern iſt ſie bey der Baukunſt, Malerkunſt, Tonkunſt, Dichtkunſt ꝛc. eine Hauptabſicht mit, weil ſie etwas gefallendes hat. §. 355. Wir merken nun ferner an, daß unter den vor- hin (§. 352.) angefuͤhrten Redensarten die ſechſte und ſiebente Y 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/381
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Anlage zur Architectonic. Bd. 1. Riga, 1771, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_architectonic01_1771/381>, abgerufen am 21.12.2024.