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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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den von dem vorhergehenden haben wir es schon an sei-
nem Anfange erkannt) bestellen die Boten zu Worms
nichts von der Königinn insbesondere, Hagen wird eigent-
lich gar nicht einmahl mit eingeladen. Und mit dieser Er-
zählung, nicht aber mit der ersteren, verträgt sich wieder
was Kriemhild zu Hagen sagt (Z. 7169):
Her Hagene, wer hat nach u gesant,
Daz ir getorstet riten her in dizze lant,
Unde ir daz wol erkandet, waz ir mir habt getan?
Hetet ir gute sinne, ir soldet ez billiche lan.

und was er ihr antwortet:
Nach mir sande niemen, sprach do Hagene;
Man ladete her ze lande drie degene;
Die heizent mine herren, und bin ich ir man;
In deheiner hovereise bin ich selten hinder in bestan.

Es wird sich späterhin zeigen, daß alle die Lieder, in de-
nen diese Stellen enthalten sind, auch nach anderen Kenn-
zeichen als verschieden und ursprünglich einzelnstehend an-
genommen werden müssen.

Damit aber die Kritik ja nicht übermüthig werde, soll
hier sogleich eine andere Stelle angeführt werden (Z. 6009
-- 6024), in der sie sich bei reiflicher Überlegung endlich
doch bescheiden muß, zweifelhaft zu lassen, ob der darin
enthaltene Widerspruch bloß auf Rechnung des Dichters
komme, der ein anderes Lied nicht kannte, oder hingegen
die ganze Stelle als ein später eingefügtes Stück anzuse-
hen sei; auf die letztere Seite wird sie sich vielleicht mehr
hinneigen dürfen, weil darin wieder Volker der Spielmann
erwähnt wird. Die Königinn fragt nämlich die zurückge-
kehrten Boten, welche ihrer Verwandten zur Hochzeit kommen

den von dem vorhergehenden haben wir es ſchon an ſei-
nem Anfange erkannt) beſtellen die Boten zu Worms
nichts von der Königinn insbeſondere, Hagen wird eigent-
lich gar nicht einmahl mit eingeladen. Und mit dieſer Er-
zählung, nicht aber mit der erſteren, verträgt ſich wieder
was Kriemhild zu Hagen ſagt (Z. 7169):
Her Hagene, wer hat nach u̓ geſant,
Daz ir getorſtet riten her in dizze lant,
Unde ir daz wol erkandet, waz ir mir habt getan?
Hetet ir gůte ſinne, ir ſoldet ez billiche lan.

und was er ihr antwortet:
Nach mir ſande niemen, ſprach do Hagene;
Man ladete her ze lande drie degene;
Die heizent mine herren, und bin ich ir man;
In deheiner hovereiſe bin ich ſelten hinder in beſtan.

Es wird ſich ſpäterhin zeigen, daß alle die Lieder, in de-
nen dieſe Stellen enthalten ſind, auch nach anderen Kenn-
zeichen als verſchieden und urſprünglich einzelnſtehend an-
genommen werden müſſen.

Damit aber die Kritik ja nicht übermüthig werde, ſoll
hier ſogleich eine andere Stelle angeführt werden (Z. 6009
— 6024), in der ſie ſich bei reiflicher Überlegung endlich
doch beſcheiden muß, zweifelhaft zu laſſen, ob der darin
enthaltene Widerſpruch bloß auf Rechnung des Dichters
komme, der ein anderes Lied nicht kannte, oder hingegen
die ganze Stelle als ein ſpäter eingefügtes Stück anzuſe-
hen ſei; auf die letztere Seite wird ſie ſich vielleicht mehr
hinneigen dürfen, weil darin wieder Volker der Spielmann
erwähnt wird. Die Königinn fragt nämlich die zurückge-
kehrten Boten, welche ihrer Verwandten zur Hochzeit kommen

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[28/0036] den von dem vorhergehenden haben wir es ſchon an ſei- nem Anfange erkannt) beſtellen die Boten zu Worms nichts von der Königinn insbeſondere, Hagen wird eigent- lich gar nicht einmahl mit eingeladen. Und mit dieſer Er- zählung, nicht aber mit der erſteren, verträgt ſich wieder was Kriemhild zu Hagen ſagt (Z. 7169): Her Hagene, wer hat nach u̓ geſant, Daz ir getorſtet riten her in dizze lant, Unde ir daz wol erkandet, waz ir mir habt getan? Hetet ir gůte ſinne, ir ſoldet ez billiche lan. und was er ihr antwortet: Nach mir ſande niemen, ſprach do Hagene; Man ladete her ze lande drie degene; Die heizent mine herren, und bin ich ir man; In deheiner hovereiſe bin ich ſelten hinder in beſtan. Es wird ſich ſpäterhin zeigen, daß alle die Lieder, in de- nen dieſe Stellen enthalten ſind, auch nach anderen Kenn- zeichen als verſchieden und urſprünglich einzelnſtehend an- genommen werden müſſen. Damit aber die Kritik ja nicht übermüthig werde, ſoll hier ſogleich eine andere Stelle angeführt werden (Z. 6009 — 6024), in der ſie ſich bei reiflicher Überlegung endlich doch beſcheiden muß, zweifelhaft zu laſſen, ob der darin enthaltene Widerſpruch bloß auf Rechnung des Dichters komme, der ein anderes Lied nicht kannte, oder hingegen die ganze Stelle als ein ſpäter eingefügtes Stück anzuſe- hen ſei; auf die letztere Seite wird ſie ſich vielleicht mehr hinneigen dürfen, weil darin wieder Volker der Spielmann erwähnt wird. Die Königinn fragt nämlich die zurückge- kehrten Boten, welche ihrer Verwandten zur Hochzeit kommen

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/36>, abgerufen am 26.04.2024.