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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
hatte keinerlei gesetzgebende Gewalt. Weder die Bundesacte noch
die Wiener Schlußacte sind Gesetze, trotzdem sie Grundgesetze des
deutschen Bundes hießen; kein Bundesbeschluß war ein Gesetz,
selbst wenn er Bundesgesetz genannt wurde, sondern nur eine Ver-
einbarung über die von den einzelnen Staaten zu erlassenden Ge-
setze oder über das völkerrechtliche Bundesverhältniß der Einzel-
staaten selbst. Der Mißbrauch, der mit dem Worte "Bundesrecht"
getrieben wurde, ist allerdings weit verbreitet gewesen; für die
juristische Betrachtung ist aber nicht der Klang des Wortes, sondern
die rechtliche Natur der Sache maaßgebend. Ein, von dem Landes-
recht der einzelnen Staaten verschiedenes Bundesrecht, das einen
anderen Inhalt als die vertragsmäßige Normirung des
Bundesverhältnisses
und deren Ausführung im Einzelnen
hatte, gab es nicht. Alles, selbst durch Bundesbeschlüsse provozirte
und in allen deutschen Staaten gleichmäßig geltende Recht war
ohne Ausnahme nicht Bundesrecht sondern Landesrecht 1). Dieses
Recht ist daher auch durch die Auflösung des deutschen Bundes
nicht beseitigt worden, eben weil es kein Bundesrecht war. Da-
gegen ist alles Bundesrecht, d. h. der Inbegriff aller vertrags-
mäßigen und statutarischen Bestimmungen über den völkerrechtlichen
Verein, welcher unter den deutschen Staaten mit der Bezeichnung
deutscher Bund bestanden hat, mit der Auflösung dieses Vereins
gegenstandslos geworden und vollständig und in allen Beziehungen
in Wegfall gekommen.

§ 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes.

Die Vorgeschichte des Norddeutschen Bundes reicht in die
Zeiten des ehemaligen deutschen Bundes hinauf. Schon im Jahre
1863 erklärte Fürst Bismarck bei Erörterung des Oesterreichischen
Reformprojects in einer Denkschrift des Staatsministe-
riums vom 15. September 1863
2) für die wichtigste und
wesentlichste Reform der Bundesverfassung, die Einfügung
einer National-Vertretung
, welche berufen sei, "die
Sonderinteressen der einzelnen Staaten im Interesse der Gesammt-
heit Deutschlands zur Einheit zu vermitteln", und er verlangte

1) Thudichum S. 6.
2) Auszugsweise auch bei Hahn S. 60. Anm.

§. 2. Die Gründung des nordd. Bundes.
hatte keinerlei geſetzgebende Gewalt. Weder die Bundesacte noch
die Wiener Schlußacte ſind Geſetze, trotzdem ſie Grundgeſetze des
deutſchen Bundes hießen; kein Bundesbeſchluß war ein Geſetz,
ſelbſt wenn er Bundesgeſetz genannt wurde, ſondern nur eine Ver-
einbarung über die von den einzelnen Staaten zu erlaſſenden Ge-
ſetze oder über das völkerrechtliche Bundesverhältniß der Einzel-
ſtaaten ſelbſt. Der Mißbrauch, der mit dem Worte „Bundesrecht“
getrieben wurde, iſt allerdings weit verbreitet geweſen; für die
juriſtiſche Betrachtung iſt aber nicht der Klang des Wortes, ſondern
die rechtliche Natur der Sache maaßgebend. Ein, von dem Landes-
recht der einzelnen Staaten verſchiedenes Bundesrecht, das einen
anderen Inhalt als die vertragsmäßige Normirung des
Bundesverhältniſſes
und deren Ausführung im Einzelnen
hatte, gab es nicht. Alles, ſelbſt durch Bundesbeſchlüſſe provozirte
und in allen deutſchen Staaten gleichmäßig geltende Recht war
ohne Ausnahme nicht Bundesrecht ſondern Landesrecht 1). Dieſes
Recht iſt daher auch durch die Auflöſung des deutſchen Bundes
nicht beſeitigt worden, eben weil es kein Bundesrecht war. Da-
gegen iſt alles Bundesrecht, d. h. der Inbegriff aller vertrags-
mäßigen und ſtatutariſchen Beſtimmungen über den völkerrechtlichen
Verein, welcher unter den deutſchen Staaten mit der Bezeichnung
deutſcher Bund beſtanden hat, mit der Auflöſung dieſes Vereins
gegenſtandslos geworden und vollſtändig und in allen Beziehungen
in Wegfall gekommen.

§ 2. Die Gründung des Norddeutſchen Bundes.

Die Vorgeſchichte des Norddeutſchen Bundes reicht in die
Zeiten des ehemaligen deutſchen Bundes hinauf. Schon im Jahre
1863 erklärte Fürſt Bismarck bei Erörterung des Oeſterreichiſchen
Reformprojects in einer Denkſchrift des Staatsminiſte-
riums vom 15. September 1863
2) für die wichtigſte und
weſentlichſte Reform der Bundesverfaſſung, die Einfügung
einer National-Vertretung
, welche berufen ſei, „die
Sonderintereſſen der einzelnen Staaten im Intereſſe der Geſammt-
heit Deutſchlands zur Einheit zu vermitteln“, und er verlangte

1) Thudichum S. 6.
2) Auszugsweiſe auch bei Hahn S. 60. Anm.
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[9/0029] §. 2. Die Gründung des nordd. Bundes. hatte keinerlei geſetzgebende Gewalt. Weder die Bundesacte noch die Wiener Schlußacte ſind Geſetze, trotzdem ſie Grundgeſetze des deutſchen Bundes hießen; kein Bundesbeſchluß war ein Geſetz, ſelbſt wenn er Bundesgeſetz genannt wurde, ſondern nur eine Ver- einbarung über die von den einzelnen Staaten zu erlaſſenden Ge- ſetze oder über das völkerrechtliche Bundesverhältniß der Einzel- ſtaaten ſelbſt. Der Mißbrauch, der mit dem Worte „Bundesrecht“ getrieben wurde, iſt allerdings weit verbreitet geweſen; für die juriſtiſche Betrachtung iſt aber nicht der Klang des Wortes, ſondern die rechtliche Natur der Sache maaßgebend. Ein, von dem Landes- recht der einzelnen Staaten verſchiedenes Bundesrecht, das einen anderen Inhalt als die vertragsmäßige Normirung des Bundesverhältniſſes und deren Ausführung im Einzelnen hatte, gab es nicht. Alles, ſelbſt durch Bundesbeſchlüſſe provozirte und in allen deutſchen Staaten gleichmäßig geltende Recht war ohne Ausnahme nicht Bundesrecht ſondern Landesrecht 1). Dieſes Recht iſt daher auch durch die Auflöſung des deutſchen Bundes nicht beſeitigt worden, eben weil es kein Bundesrecht war. Da- gegen iſt alles Bundesrecht, d. h. der Inbegriff aller vertrags- mäßigen und ſtatutariſchen Beſtimmungen über den völkerrechtlichen Verein, welcher unter den deutſchen Staaten mit der Bezeichnung deutſcher Bund beſtanden hat, mit der Auflöſung dieſes Vereins gegenſtandslos geworden und vollſtändig und in allen Beziehungen in Wegfall gekommen. § 2. Die Gründung des Norddeutſchen Bundes. Die Vorgeſchichte des Norddeutſchen Bundes reicht in die Zeiten des ehemaligen deutſchen Bundes hinauf. Schon im Jahre 1863 erklärte Fürſt Bismarck bei Erörterung des Oeſterreichiſchen Reformprojects in einer Denkſchrift des Staatsminiſte- riums vom 15. September 1863 2) für die wichtigſte und weſentlichſte Reform der Bundesverfaſſung, die Einfügung einer National-Vertretung, welche berufen ſei, „die Sonderintereſſen der einzelnen Staaten im Intereſſe der Geſammt- heit Deutſchlands zur Einheit zu vermitteln“, und er verlangte 1) Thudichum S. 6. 2) Auszugsweiſe auch bei Hahn S. 60. Anm.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/29>, abgerufen am 21.11.2024.