Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Er wandte sich und schlug rasch seinen kräftigen Wanderschritt
wieder an. Kaum hatte er sich ein wenig entfernt, so rief sie: Frieder,
nur noch ein' einzigen Blick!

Er blieb stehen.

Nur noch ein einzig's Wort! rief sie. Will' und Lieb', die stiehlt
kein Dieb. Nicht wahr?

Ja, lieb's Weible, antwortete er. Will' und Lieb', die stiehlt kein
Dieb. Jetzt aber geh heim. Der Morgen kommt, es wird empfindlich
kalt. Willst gleich machen, daß du fortkommst? wiederholte er und
bückte sich, als ob er den harten Schnee zu einem Wurfe ballen wollte.

Sie lief lachend eine Strecke weit davon. Als sie Halt machte
und sich nach ihm umsehen wollte, war er schon hinter der nächsten
Biegung der Straße verschwunden, und schluchzend deckte sie die Augen
mit der Schürze zu.


14.

Selten wohl hat ein deutscher Hausknecht dem Fürsten Reichserb¬
postmeister in so kurzer Zeit so viel zu verdienen gegeben, als der
junge Schwabe, der in der Sonne zu Sachsenhausen eingetreten war.
In Ebersbach fragte man sich noch, ob er jetzt wohl sein Reiseziel
erreicht haben werde, da kam schon ein Brief von ihm "An die ehr¬
bare und bescheidene Jungfer Jungfer Christina Müllerin, in beliebi¬
gen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, cito, cito, franco."

Der Brief lautete so: "Gott zum Gruß und Jesum zum Bei¬
stand. Heißgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen
beschreiben, und diese Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen
glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich
mit ernsthaftem Hertzen berichten: Liebe Christina, glaube Du daß mein
Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jeder Zeit getreu verbleiben,
so lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere
Buben entlaßst und Dich ihrer entläßst, und ich erfahre daß Du Dich so
haltst wie es einem braven Menschen gehört, so soll mir keine Andere

Er wandte ſich und ſchlug raſch ſeinen kräftigen Wanderſchritt
wieder an. Kaum hatte er ſich ein wenig entfernt, ſo rief ſie: Frieder,
nur noch ein' einzigen Blick!

Er blieb ſtehen.

Nur noch ein einzig's Wort! rief ſie. Will' und Lieb', die ſtiehlt
kein Dieb. Nicht wahr?

Ja, lieb's Weible, antwortete er. Will' und Lieb', die ſtiehlt kein
Dieb. Jetzt aber geh heim. Der Morgen kommt, es wird empfindlich
kalt. Willſt gleich machen, daß du fortkommſt? wiederholte er und
bückte ſich, als ob er den harten Schnee zu einem Wurfe ballen wollte.

Sie lief lachend eine Strecke weit davon. Als ſie Halt machte
und ſich nach ihm umſehen wollte, war er ſchon hinter der nächſten
Biegung der Straße verſchwunden, und ſchluchzend deckte ſie die Augen
mit der Schürze zu.


14.

Selten wohl hat ein deutſcher Hausknecht dem Fürſten Reichserb¬
poſtmeiſter in ſo kurzer Zeit ſo viel zu verdienen gegeben, als der
junge Schwabe, der in der Sonne zu Sachſenhauſen eingetreten war.
In Ebersbach fragte man ſich noch, ob er jetzt wohl ſein Reiſeziel
erreicht haben werde, da kam ſchon ein Brief von ihm „An die ehr¬
bare und beſcheidene Jungfer Jungfer Chriſtina Müllerin, in beliebi¬
gen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, cito, cito, franco.“

Der Brief lautete ſo: „Gott zum Gruß und Jeſum zum Bei¬
ſtand. Heißgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen
beſchreiben, und dieſe Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen
glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich
mit ernſthaftem Hertzen berichten: Liebe Chriſtina, glaube Du daß mein
Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jeder Zeit getreu verbleiben,
ſo lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere
Buben entlaßſt und Dich ihrer entläßſt, und ich erfahre daß Du Dich ſo
haltſt wie es einem braven Menſchen gehört, ſo ſoll mir keine Andere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0173" n="157"/>
        <p>Er wandte &#x017F;ich und &#x017F;chlug ra&#x017F;ch &#x017F;einen kräftigen Wander&#x017F;chritt<lb/>
wieder an. Kaum hatte er &#x017F;ich ein wenig entfernt, &#x017F;o rief &#x017F;ie: Frieder,<lb/>
nur noch ein' einzigen Blick!</p><lb/>
        <p>Er blieb &#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>Nur noch ein einzig's Wort! rief &#x017F;ie. Will' und Lieb', die &#x017F;tiehlt<lb/>
kein Dieb. Nicht wahr?</p><lb/>
        <p>Ja, lieb's Weible, antwortete er. Will' und Lieb', die &#x017F;tiehlt kein<lb/>
Dieb. Jetzt aber geh heim. Der Morgen kommt, es wird empfindlich<lb/>
kalt. Will&#x017F;t gleich machen, daß du fortkomm&#x017F;t? wiederholte er und<lb/>
bückte &#x017F;ich, als ob er den harten Schnee zu einem Wurfe ballen wollte.</p><lb/>
        <p>Sie lief lachend eine Strecke weit davon. Als &#x017F;ie Halt machte<lb/>
und &#x017F;ich nach ihm um&#x017F;ehen wollte, war er &#x017F;chon hinter der näch&#x017F;ten<lb/>
Biegung der Straße ver&#x017F;chwunden, und &#x017F;chluchzend deckte &#x017F;ie die Augen<lb/>
mit der Schürze zu.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
      <div n="1">
        <head>14.<lb/></head>
        <p>Selten wohl hat ein deut&#x017F;cher Hausknecht dem Für&#x017F;ten Reichserb¬<lb/>
po&#x017F;tmei&#x017F;ter in &#x017F;o kurzer Zeit &#x017F;o viel zu verdienen gegeben, als der<lb/>
junge Schwabe, der in der Sonne zu Sach&#x017F;enhau&#x017F;en eingetreten war.<lb/>
In Ebersbach fragte man &#x017F;ich noch, ob er jetzt wohl &#x017F;ein Rei&#x017F;eziel<lb/>
erreicht haben werde, da kam &#x017F;chon ein Brief von ihm &#x201E;An die ehr¬<lb/>
bare und be&#x017F;cheidene Jungfer Jungfer Chri&#x017F;tina Müllerin, in beliebi¬<lb/>
gen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, <hi rendition="#aq">cito</hi>, <hi rendition="#aq">cito</hi>, <hi rendition="#aq">franco</hi>.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Brief lautete &#x017F;o: &#x201E;Gott zum Gruß und Je&#x017F;um zum Bei¬<lb/>
&#x017F;tand. Heißgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen<lb/>
be&#x017F;chreiben, und die&#x017F;e Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen<lb/>
glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich<lb/>
mit ern&#x017F;thaftem Hertzen berichten: Liebe Chri&#x017F;tina, glaube Du daß mein<lb/>
Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jeder Zeit getreu verbleiben,<lb/>
&#x017F;o lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere<lb/>
Buben entlaß&#x017F;t und Dich ihrer entläß&#x017F;t, und ich erfahre daß Du Dich &#x017F;o<lb/>
halt&#x017F;t wie es einem braven Men&#x017F;chen gehört, &#x017F;o &#x017F;oll mir keine Andere<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0173] Er wandte ſich und ſchlug raſch ſeinen kräftigen Wanderſchritt wieder an. Kaum hatte er ſich ein wenig entfernt, ſo rief ſie: Frieder, nur noch ein' einzigen Blick! Er blieb ſtehen. Nur noch ein einzig's Wort! rief ſie. Will' und Lieb', die ſtiehlt kein Dieb. Nicht wahr? Ja, lieb's Weible, antwortete er. Will' und Lieb', die ſtiehlt kein Dieb. Jetzt aber geh heim. Der Morgen kommt, es wird empfindlich kalt. Willſt gleich machen, daß du fortkommſt? wiederholte er und bückte ſich, als ob er den harten Schnee zu einem Wurfe ballen wollte. Sie lief lachend eine Strecke weit davon. Als ſie Halt machte und ſich nach ihm umſehen wollte, war er ſchon hinter der nächſten Biegung der Straße verſchwunden, und ſchluchzend deckte ſie die Augen mit der Schürze zu. 14. Selten wohl hat ein deutſcher Hausknecht dem Fürſten Reichserb¬ poſtmeiſter in ſo kurzer Zeit ſo viel zu verdienen gegeben, als der junge Schwabe, der in der Sonne zu Sachſenhauſen eingetreten war. In Ebersbach fragte man ſich noch, ob er jetzt wohl ſein Reiſeziel erreicht haben werde, da kam ſchon ein Brief von ihm „An die ehr¬ bare und beſcheidene Jungfer Jungfer Chriſtina Müllerin, in beliebi¬ gen Händen zu eröffnen, in Ebersbach, cito, cito, franco.“ Der Brief lautete ſo: „Gott zum Gruß und Jeſum zum Bei¬ ſtand. Heißgeliebter Schatz, ich muß Dich mit einem betrübten Hertzen beſchreiben, und dieſe Zeilen werden Dich, wie ich in meinem Hertzen glaub, betrübet antreffen. So will ich Dein Hertz erleichtern und Dich mit ernſthaftem Hertzen berichten: Liebe Chriſtina, glaube Du daß mein Hertz nicht wanckhen wird und Dir noch jeder Zeit getreu verbleiben, ſo lang noch Gott eine Ader in meinem Leib laßt. Wann Du andere Buben entlaßſt und Dich ihrer entläßſt, und ich erfahre daß Du Dich ſo haltſt wie es einem braven Menſchen gehört, ſo ſoll mir keine Andere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/173
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/173>, abgerufen am 30.12.2024.