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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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XVII.
Innen- und Außenwelt.

Seit diesem Tage war es nur noch Timpe's Geist, der
im Hause herumwandelte; so meinte wenigstens Thomas
Beyer. Es war in der That unheimlich mit anzusehen,
wie der Meister lautlos in die Werkstatt trat, kein Wort sagte,
nichts anrührte, stumm einige Augenblicke durch das Fenster
blickte, die Lippen aufeinander preßte, nach der Fabrik hin¬
über nickte, und dann ebenso still wieder von dannen schlich.
Nirgends fand er Ruhe. Noch spukhafter für Gesellen und
Lehrling war es, wenn sie im Nebenraum die lauten Worte
vernahmen: "Karoline, bist Du da?" oder: "Mutter, hörst
Du?" Einmal steckte er sogar den Kopf in die Werkstatt
hinein und fragte allen Ernstes : "Ist meine Frau nicht hier?"

Er vermochte sein Alleinsein nicht zu begreifen. Die
ersten drei Tage nach dem Begräbniß steigerten die Hallucina¬
tionen sich derartig, daß Beyer das Ernsteste befürchtete und
jedesmal, wenn Timpe die Werkstatt verlassen hatte, hinter
ihm herging, um ihn vor irgend einer Verzweiflungsthat zu
bewahren. Dann sah er öfters, wie der Meister sich un¬


XVII.
Innen- und Außenwelt.

Seit dieſem Tage war es nur noch Timpe's Geiſt, der
im Hauſe herumwandelte; ſo meinte wenigſtens Thomas
Beyer. Es war in der That unheimlich mit anzuſehen,
wie der Meiſter lautlos in die Werkſtatt trat, kein Wort ſagte,
nichts anrührte, ſtumm einige Augenblicke durch das Fenſter
blickte, die Lippen aufeinander preßte, nach der Fabrik hin¬
über nickte, und dann ebenſo ſtill wieder von dannen ſchlich.
Nirgends fand er Ruhe. Noch ſpukhafter für Geſellen und
Lehrling war es, wenn ſie im Nebenraum die lauten Worte
vernahmen: „Karoline, biſt Du da?“ oder: „Mutter, hörſt
Du?“ Einmal ſteckte er ſogar den Kopf in die Werkſtatt
hinein und fragte allen Ernſtes : „Iſt meine Frau nicht hier?“

Er vermochte ſein Alleinſein nicht zu begreifen. Die
erſten drei Tage nach dem Begräbniß ſteigerten die Hallucina¬
tionen ſich derartig, daß Beyer das Ernſteſte befürchtete und
jedesmal, wenn Timpe die Werkſtatt verlaſſen hatte, hinter
ihm herging, um ihn vor irgend einer Verzweiflungsthat zu
bewahren. Dann ſah er öfters, wie der Meiſter ſich un¬

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[[253]/0265] XVII. Innen- und Außenwelt. Seit dieſem Tage war es nur noch Timpe's Geiſt, der im Hauſe herumwandelte; ſo meinte wenigſtens Thomas Beyer. Es war in der That unheimlich mit anzuſehen, wie der Meiſter lautlos in die Werkſtatt trat, kein Wort ſagte, nichts anrührte, ſtumm einige Augenblicke durch das Fenſter blickte, die Lippen aufeinander preßte, nach der Fabrik hin¬ über nickte, und dann ebenſo ſtill wieder von dannen ſchlich. Nirgends fand er Ruhe. Noch ſpukhafter für Geſellen und Lehrling war es, wenn ſie im Nebenraum die lauten Worte vernahmen: „Karoline, biſt Du da?“ oder: „Mutter, hörſt Du?“ Einmal ſteckte er ſogar den Kopf in die Werkſtatt hinein und fragte allen Ernſtes : „Iſt meine Frau nicht hier?“ Er vermochte ſein Alleinſein nicht zu begreifen. Die erſten drei Tage nach dem Begräbniß ſteigerten die Hallucina¬ tionen ſich derartig, daß Beyer das Ernſteſte befürchtete und jedesmal, wenn Timpe die Werkſtatt verlaſſen hatte, hinter ihm herging, um ihn vor irgend einer Verzweiflungsthat zu bewahren. Dann ſah er öfters, wie der Meiſter ſich un¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. [253]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/265>, abgerufen am 22.12.2024.