Die Landwirthschaft umfaßt alle jene Unternehmungen, deren Aufgabe darin besteht, Stoffe und Kräfte, welche an den Boden und die Atmosphäre gebunden sind, durch die Vermittelung des vegetabilischen und thierischen Lebens frei zu machen, damit dieselben entweder unmittelbar als Thier- und Pflanzenkörper zur Befriedigung des menschlichen Nahrungsbedürfnisses oder mittelbar als verarbeitete vegetabilische und thierische Rohstoffe zur Befriedigung der weiteren Bedürfnisse, an Wärme, Licht, Schutz etc., verwendet werden können.
Für den Landwirth als Unternehmer tritt noch die wirthschaftliche Forderung hinzu von einer bestimmten Bodenfläche die größte und werthvollste Menge an Pflanzen und Thieren mit Rücksicht auf die Nachhaltigkeit des Ertrages und den wirtschaft- lichen zu Nutzen erzielen.
Um die allgemeine Aufgabe der Landwirthschaft zu erfüllen, wird für den Land- wirth die Erkenntniß der Gesetze von dem Kreislaufe und der Erhaltung des Stoffes und der Kraft, welche den Inhalt der Naturwissenschaft bildet, von entscheidendem Einflusse sein. Zur Lösung der speciellen Aufgabe muß der Landwirth nicht nur die naturwissenschaftlichen, sondern auch die volkswirthschaftlichen Gesetze zur Richtschnur für sein Handeln nehmen.
Früher vor dem Erscheinen des Thaer'schen Werkes: "Grundsätze der rationellen Landwirthschaft (1809--1811)", beschränkte sich die Lehre von der Landwirthschaft auf die Darlegung des "Könnens", wie dasselbe durch die Erfahrung festgestellt wird; sie hatte daher nur den Anspruch auf die Bezeichnung Landwirthschaftskunde.
Das Thaer'sche Werk bildete den Uebergang zur neueren Auffassung der Lehre der Landwirthschaft, welche durch Liebig's "Die organische Chemie in ihrer An- wendung auf Agricultur und Physiologie (1841)" angeregt, die jetzt herrschende geworden. Nach derselben erhebt sich die Lehre der Landwirthschaft zur Darlegung des "Könnens und Wissens", indem sie die einzelnen durch Erfahrung und Beobachtung festgestellten Wahrheiten als organische Folge des Wesens der Natur- und Wirth- schaftsgesetze -- als deren oberstes das Gesetz der Ursache und Wirkung zu gelten hat -- erkennt. Sie verdient als solche die Bezeichnung Landwirthschafts- wissenschaft.
Krafft, Lehrb. d. Landw. I. 1
Einleitung.
Die Landwirthſchaft umfaßt alle jene Unternehmungen, deren Aufgabe darin beſteht, Stoffe und Kräfte, welche an den Boden und die Atmoſphäre gebunden ſind, durch die Vermittelung des vegetabiliſchen und thieriſchen Lebens frei zu machen, damit dieſelben entweder unmittelbar als Thier- und Pflanzenkörper zur Befriedigung des menſchlichen Nahrungsbedürfniſſes oder mittelbar als verarbeitete vegetabiliſche und thieriſche Rohſtoffe zur Befriedigung der weiteren Bedürfniſſe, an Wärme, Licht, Schutz ꝛc., verwendet werden können.
Für den Landwirth als Unternehmer tritt noch die wirthſchaftliche Forderung hinzu von einer beſtimmten Bodenfläche die größte und werthvollſte Menge an Pflanzen und Thieren mit Rückſicht auf die Nachhaltigkeit des Ertrages und den wirtſchaft- lichen zu Nutzen erzielen.
Um die allgemeine Aufgabe der Landwirthſchaft zu erfüllen, wird für den Land- wirth die Erkenntniß der Geſetze von dem Kreislaufe und der Erhaltung des Stoffes und der Kraft, welche den Inhalt der Naturwiſſenſchaft bildet, von entſcheidendem Einfluſſe ſein. Zur Löſung der ſpeciellen Aufgabe muß der Landwirth nicht nur die naturwiſſenſchaftlichen, ſondern auch die volkswirthſchaftlichen Geſetze zur Richtſchnur für ſein Handeln nehmen.
Früher vor dem Erſcheinen des Thaer'ſchen Werkes: „Grundſätze der rationellen Landwirthſchaft (1809—1811)“, beſchränkte ſich die Lehre von der Landwirthſchaft auf die Darlegung des „Könnens“, wie daſſelbe durch die Erfahrung feſtgeſtellt wird; ſie hatte daher nur den Anſpruch auf die Bezeichnung Landwirthſchaftskunde.
Das Thaer'ſche Werk bildete den Uebergang zur neueren Auffaſſung der Lehre der Landwirthſchaft, welche durch Liebig's „Die organiſche Chemie in ihrer An- wendung auf Agricultur und Phyſiologie (1841)“ angeregt, die jetzt herrſchende geworden. Nach derſelben erhebt ſich die Lehre der Landwirthſchaft zur Darlegung des „Könnens und Wiſſens“, indem ſie die einzelnen durch Erfahrung und Beobachtung feſtgeſtellten Wahrheiten als organiſche Folge des Weſens der Natur- und Wirth- ſchaftsgeſetze — als deren oberſtes das Geſetz der Urſache und Wirkung zu gelten hat — erkennt. Sie verdient als ſolche die Bezeichnung Landwirthſchafts- wiſſenſchaft.
Krafft, Lehrb. d. Landw. I. 1
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Einleitung.
Die Landwirthſchaft umfaßt alle jene Unternehmungen, deren Aufgabe darin
beſteht, Stoffe und Kräfte, welche an den Boden und die Atmoſphäre gebunden
ſind, durch die Vermittelung des vegetabiliſchen und thieriſchen Lebens frei zu machen,
damit dieſelben entweder unmittelbar als Thier- und Pflanzenkörper zur Befriedigung
des menſchlichen Nahrungsbedürfniſſes oder mittelbar als verarbeitete vegetabiliſche
und thieriſche Rohſtoffe zur Befriedigung der weiteren Bedürfniſſe, an Wärme, Licht,
Schutz ꝛc., verwendet werden können.
Für den Landwirth als Unternehmer tritt noch die wirthſchaftliche Forderung
hinzu von einer beſtimmten Bodenfläche die größte und werthvollſte Menge an Pflanzen
und Thieren mit Rückſicht auf die Nachhaltigkeit des Ertrages und den wirtſchaft-
lichen zu Nutzen erzielen.
Um die allgemeine Aufgabe der Landwirthſchaft zu erfüllen, wird für den Land-
wirth die Erkenntniß der Geſetze von dem Kreislaufe und der Erhaltung des Stoffes
und der Kraft, welche den Inhalt der Naturwiſſenſchaft bildet, von entſcheidendem
Einfluſſe ſein. Zur Löſung der ſpeciellen Aufgabe muß der Landwirth nicht nur die
naturwiſſenſchaftlichen, ſondern auch die volkswirthſchaftlichen Geſetze zur Richtſchnur
für ſein Handeln nehmen.
Früher vor dem Erſcheinen des Thaer'ſchen Werkes: „Grundſätze der rationellen
Landwirthſchaft (1809—1811)“, beſchränkte ſich die Lehre von der Landwirthſchaft
auf die Darlegung des „Könnens“, wie daſſelbe durch die Erfahrung feſtgeſtellt wird;
ſie hatte daher nur den Anſpruch auf die Bezeichnung Landwirthſchaftskunde.
Das Thaer'ſche Werk bildete den Uebergang zur neueren Auffaſſung der Lehre
der Landwirthſchaft, welche durch Liebig's „Die organiſche Chemie in ihrer An-
wendung auf Agricultur und Phyſiologie (1841)“ angeregt, die jetzt herrſchende
geworden. Nach derſelben erhebt ſich die Lehre der Landwirthſchaft zur Darlegung
des „Könnens und Wiſſens“, indem ſie die einzelnen durch Erfahrung und Beobachtung
feſtgeſtellten Wahrheiten als organiſche Folge des Weſens der Natur- und Wirth-
ſchaftsgeſetze — als deren oberſtes das Geſetz der Urſache und Wirkung zu gelten
hat — erkennt. Sie verdient als ſolche die Bezeichnung Landwirthſchafts-
wiſſenſchaft.
Krafft, Lehrb. d. Landw. I. 1
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Krafft, Guido: Lehrbuch der Landwirthschaft auf wissenschaftlicher und praktischer Grundlage. Bd. 1. Berlin, 1875, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krafft_landwirthschaft01_1875/19>, abgerufen am 27.07.2024.
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