nie zu vergessen; nie sich zu übereilen, den Ver¬ stand nie dem Herzen, dem Temperamente, der Phantasie preis zu geben; Vorsicht, Verschlossen¬ heit, Wachsamkeit, Gegenwart des Geistes, Un¬ terdrückung willkührlicher Aufwallungen und Gewalt über Launen. Mit Kaltblütigkeit und den dahin gehörigen Eigenschaften sieht man Per¬ sonen von den mittelmäßigsten natürlichen Ga¬ ben über den lebhaftesten, feinsten Feuer-Kopf herrschen. Aber diese schwere Kunst -- wenn sie sich je erlernen lässt, wenn sie nicht ausschlie߬ lich ein Geschenk der Natur ist -- erlangt man nur nach vieljähriger Arbeit und Erfahrung.
14.
Und nun zum Schlusse dieses Capittels auch etwas über den Nutzen, den uns der Um¬ gang mit Menschen in der großen Welt gewährt! Er ist wahrlich nicht unbeträchtlich. Vorschrif¬ ten, welche uns auf die erlaubten Sitten der feinern Societät verweisen, sind freylich keine Grundsätze der Moral, sondern nur der Ueber¬ einkunft; allein eben diese Uebereinkunft beruht doch darauf, daß man suche, sich und Andern, in einer zwangvollen Lage, deren Ungemächlich¬
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nie zu vergeſſen; nie ſich zu uͤbereilen, den Ver¬ ſtand nie dem Herzen, dem Temperamente, der Phantaſie preis zu geben; Vorſicht, Verſchloſſen¬ heit, Wachſamkeit, Gegenwart des Geiſtes, Un¬ terdruͤckung willkuͤhrlicher Aufwallungen und Gewalt uͤber Launen. Mit Kaltbluͤtigkeit und den dahin gehoͤrigen Eigenſchaften ſieht man Per¬ ſonen von den mittelmaͤßigſten natuͤrlichen Ga¬ ben uͤber den lebhafteſten, feinſten Feuer-Kopf herrſchen. Aber dieſe ſchwere Kunſt — wenn ſie ſich je erlernen laͤſſt, wenn ſie nicht ausſchlie߬ lich ein Geſchenk der Natur iſt — erlangt man nur nach vieljaͤhriger Arbeit und Erfahrung.
14.
Und nun zum Schluſſe dieſes Capittels auch etwas uͤber den Nutzen, den uns der Um¬ gang mit Menſchen in der großen Welt gewaͤhrt! Er iſt wahrlich nicht unbetraͤchtlich. Vorſchrif¬ ten, welche uns auf die erlaubten Sitten der feinern Societaͤt verweiſen, ſind freylich keine Grundſaͤtze der Moral, ſondern nur der Ueber¬ einkunft; allein eben dieſe Uebereinkunft beruht doch darauf, daß man ſuche, ſich und Andern, in einer zwangvollen Lage, deren Ungemaͤchlich¬
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nie zu vergeſſen; nie ſich zu uͤbereilen, den Ver¬
ſtand nie dem Herzen, dem Temperamente, der
Phantaſie preis zu geben; Vorſicht, Verſchloſſen¬
heit, Wachſamkeit, Gegenwart des Geiſtes, Un¬
terdruͤckung willkuͤhrlicher Aufwallungen und
Gewalt uͤber Launen. Mit Kaltbluͤtigkeit und
den dahin gehoͤrigen Eigenſchaften ſieht man Per¬
ſonen von den mittelmaͤßigſten natuͤrlichen Ga¬
ben uͤber den lebhafteſten, feinſten Feuer-Kopf
herrſchen. Aber dieſe ſchwere Kunſt — wenn
ſie ſich je erlernen laͤſſt, wenn ſie nicht ausſchlie߬
lich ein Geſchenk der Natur iſt — erlangt man
nur nach vieljaͤhriger Arbeit und Erfahrung.
14.
Und nun zum Schluſſe dieſes Capittels
auch etwas uͤber den Nutzen, den uns der Um¬
gang mit Menſchen in der großen Welt gewaͤhrt!
Er iſt wahrlich nicht unbetraͤchtlich. Vorſchrif¬
ten, welche uns auf die erlaubten Sitten der
feinern Societaͤt verweiſen, ſind freylich keine
Grundſaͤtze der Moral, ſondern nur der Ueber¬
einkunft; allein eben dieſe Uebereinkunft beruht
doch darauf, daß man ſuche, ſich und Andern,
in einer zwangvollen Lage, deren Ungemaͤchlich¬
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 2. Hannover, 1788, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang02_1788/86>, abgerufen am 21.12.2024.
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