In alten Zeiten hatte man hohe Begriffe von den Rechten der Gastfreundschaft. Noch pfle¬ gen diese Begriffe in Ländern und Provinzen, die weniger bevölkert sind, oder wo einfachere Sitten, bey weniger Reichthum, Luxus und Corruption herrschen, so wie auf dem Lande, in Ausübung gebracht und die Rechte der Gast¬ freundschaft heilig gehalten zu werden. In unsern glänzenden Städten hingegen, wo nach und nach der Ton der feinen Lebensart allen Biedersinn zu verdrängen anfängt, da gehören die Gesetze der Gastfreundschaft nur zu den Höflichkeits-Regeln, die Jeder, nach seiner Lage und nach seinem Gefallen, mehr oder we¬ niger anerkennt und befolgt, oder nicht. Auch ist es wahrlich zu verzeyhn, wenn, bey immer zunehmenden Luxus und dem mannigfaltigen Misbrauche, den man in unsern Zeiten von
der
Neuntes Capittel.
Ueber das Verhaͤltniß zwiſchen Wirth und Gaſt.
1.
In alten Zeiten hatte man hohe Begriffe von den Rechten der Gaſtfreundſchaft. Noch pfle¬ gen dieſe Begriffe in Laͤndern und Provinzen, die weniger bevoͤlkert ſind, oder wo einfachere Sitten, bey weniger Reichthum, Luxus und Corruption herrſchen, ſo wie auf dem Lande, in Ausuͤbung gebracht und die Rechte der Gaſt¬ freundſchaft heilig gehalten zu werden. In unſern glaͤnzenden Staͤdten hingegen, wo nach und nach der Ton der feinen Lebensart allen Biederſinn zu verdraͤngen anfaͤngt, da gehoͤren die Geſetze der Gaſtfreundſchaft nur zu den Hoͤflichkeits-Regeln, die Jeder, nach ſeiner Lage und nach ſeinem Gefallen, mehr oder we¬ niger anerkennt und befolgt, oder nicht. Auch iſt es wahrlich zu verzeyhn, wenn, bey immer zunehmenden Luxus und dem mannigfaltigen Misbrauche, den man in unſern Zeiten von
der
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Neuntes Capittel.
Ueber das Verhaͤltniß zwiſchen Wirth
und Gaſt.
1.
In alten Zeiten hatte man hohe Begriffe von
den Rechten der Gaſtfreundſchaft. Noch pfle¬
gen dieſe Begriffe in Laͤndern und Provinzen,
die weniger bevoͤlkert ſind, oder wo einfachere
Sitten, bey weniger Reichthum, Luxus und
Corruption herrſchen, ſo wie auf dem Lande,
in Ausuͤbung gebracht und die Rechte der Gaſt¬
freundſchaft heilig gehalten zu werden. In
unſern glaͤnzenden Staͤdten hingegen, wo nach
und nach der Ton der feinen Lebensart allen
Biederſinn zu verdraͤngen anfaͤngt, da gehoͤren
die Geſetze der Gaſtfreundſchaft nur zu den
Hoͤflichkeits-Regeln, die Jeder, nach ſeiner
Lage und nach ſeinem Gefallen, mehr oder we¬
niger anerkennt und befolgt, oder nicht. Auch
iſt es wahrlich zu verzeyhn, wenn, bey immer
zunehmenden Luxus und dem mannigfaltigen
Misbrauche, den man in unſern Zeiten von
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Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knigge_umgang01_1788/252>, abgerufen am 22.02.2025.
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