Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite
An Cidli.
[Abbildung]
Lang in Trauren vertieft, lernt' ich die Liebe, sie
Die der Erden entfloh, aber auch wiederkehrt
Zur geheimeren Tugend,
Wie die erste der Liebenden
Voller Unschuld im Hauch duftender Lüfte kam,
Und mit jungem Gefühl an das Gestade trat,
Bald sich selbst mit den Rosen
Von dem Hang des Gestades sah.
Die erschien mir! O Schmerz, da sie erschienen war,
Warum trafest du mich mit dem gewaltigsten
Deiner zitternden Kummer,
Schwermuthsvoller, wie Nächte sind?
Jahre trafst du mich schon! Endlich (das hoft' ich nicht)
Sinkt die traurige Nacht, ist nun nicht ewig mehr,
Und mir wachen mit Lächeln
Alle schlummernde Freuden auf!
Seyd ihrs selber? und täuscht, täuschet mein Herz
mich nicht?

Ach ihr seyd es! die Ruh, dieses Gefühl so sanft
Durch das Leben gegossen,
Fühlt ich, als ich noch glücklich war!
Als
An Cidli.
[Abbildung]
Lang in Trauren vertieft, lernt’ ich die Liebe, ſie
Die der Erden entfloh, aber auch wiederkehrt
Zur geheimeren Tugend,
Wie die erſte der Liebenden
Voller Unſchuld im Hauch duftender Luͤfte kam,
Und mit jungem Gefuͤhl an das Geſtade trat,
Bald ſich ſelbſt mit den Roſen
Von dem Hang des Geſtades ſah.
Die erſchien mir! O Schmerz, da ſie erſchienen war,
Warum trafeſt du mich mit dem gewaltigſten
Deiner zitternden Kummer,
Schwermuthsvoller, wie Naͤchte ſind?
Jahre trafſt du mich ſchon! Endlich (das hoft’ ich nicht)
Sinkt die traurige Nacht, iſt nun nicht ewig mehr,
Und mir wachen mit Laͤcheln
Alle ſchlummernde Freuden auf!
Seyd ihrs ſelber? und taͤuſcht, taͤuſchet mein Herz
mich nicht?

Ach ihr ſeyd es! die Ruh, dieſes Gefuͤhl ſo ſanft
Durch das Leben gegoſſen,
Fuͤhlt ich, als ich noch gluͤcklich war!
Als
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0110" n="102"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">An Cidli.</hi> </head><lb/>
          <figure/>
          <lg>
            <lg n="21">
              <l>Lang in Trauren vertieft, lernt&#x2019; ich die Liebe, &#x017F;ie</l><lb/>
              <l>Die der Erden entfloh, aber auch wiederkehrt</l><lb/>
              <l>Zur geheimeren Tugend,</l><lb/>
              <l>Wie die er&#x017F;te der Liebenden</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="22">
              <l>Voller Un&#x017F;chuld im Hauch duftender Lu&#x0364;fte kam,</l><lb/>
              <l>Und mit jungem Gefu&#x0364;hl an das Ge&#x017F;tade trat,</l><lb/>
              <l>Bald &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t mit den Ro&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Von dem Hang des Ge&#x017F;tades &#x017F;ah.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="23">
              <l>Die er&#x017F;chien mir! O Schmerz, da &#x017F;ie er&#x017F;chienen war,</l><lb/>
              <l>Warum trafe&#x017F;t du mich mit dem gewaltig&#x017F;ten</l><lb/>
              <l>Deiner zitternden Kummer,</l><lb/>
              <l>Schwermuthsvoller, wie Na&#x0364;chte &#x017F;ind?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="24">
              <l>Jahre traf&#x017F;t du mich &#x017F;chon! Endlich (das hoft&#x2019; ich nicht)</l><lb/>
              <l>Sinkt die traurige Nacht, i&#x017F;t nun nicht ewig mehr,</l><lb/>
              <l>Und mir wachen mit La&#x0364;cheln</l><lb/>
              <l>Alle &#x017F;chlummernde Freuden auf!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="25">
              <l>Seyd ihrs &#x017F;elber? und ta&#x0364;u&#x017F;cht, ta&#x0364;u&#x017F;chet mein Herz<lb/><hi rendition="#et">mich nicht?</hi></l><lb/>
              <l>Ach ihr &#x017F;eyd es! die Ruh, die&#x017F;es Gefu&#x0364;hl &#x017F;o &#x017F;anft</l><lb/>
              <l>Durch das Leben gego&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Fu&#x0364;hlt ich, als ich noch glu&#x0364;cklich war!</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Als</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0110] An Cidli. [Abbildung] Lang in Trauren vertieft, lernt’ ich die Liebe, ſie Die der Erden entfloh, aber auch wiederkehrt Zur geheimeren Tugend, Wie die erſte der Liebenden Voller Unſchuld im Hauch duftender Luͤfte kam, Und mit jungem Gefuͤhl an das Geſtade trat, Bald ſich ſelbſt mit den Roſen Von dem Hang des Geſtades ſah. Die erſchien mir! O Schmerz, da ſie erſchienen war, Warum trafeſt du mich mit dem gewaltigſten Deiner zitternden Kummer, Schwermuthsvoller, wie Naͤchte ſind? Jahre trafſt du mich ſchon! Endlich (das hoft’ ich nicht) Sinkt die traurige Nacht, iſt nun nicht ewig mehr, Und mir wachen mit Laͤcheln Alle ſchlummernde Freuden auf! Seyd ihrs ſelber? und taͤuſcht, taͤuſchet mein Herz mich nicht? Ach ihr ſeyd es! die Ruh, dieſes Gefuͤhl ſo ſanft Durch das Leben gegoſſen, Fuͤhlt ich, als ich noch gluͤcklich war! Als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/110
Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Oden. Hamburg, 1771, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_oden_1771/110>, abgerufen am 21.12.2024.