zu diesem Grade der Deutlichkeit zu kommen, nicht etwa nur gut; es ist notwendig kurz zu seyn. Die Kürze fasset wenige Theile durch Worte von starker Bedeutung zusam- men, und leuchtet, gleich einer grossen Licht- masse auf einem Gemälde. Gleichwol ist sie es, die am gewönlichsten der Dunkelheit beschuldigt wird. Aber von wem denn? Von Leuten, denen es entweder an Verstan- de, oder an Kentnissen, oder an Aufmerk- samkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.
Gegründete Befürchtung.
Wenn ich, sagte ein Zunftältester, etwas schreiben möchte, das, ohne meine Absicht, würde zur Satyre werden; so würd ich eine wahre Geschichte der Philosophie schreiben. Fromm wie ein Lamm, aber mit völliger Bestimmung würd ich es in seinem ganzen Umfange auseinandersezen, wie wenig die allermeisten Philosophen zur Erleuchtung des Verstandes, und zur Lenkung des Her- zens beygetragen haben. Meine Lammfröm- migkeit würde besonders daraus hervorblicken, daß ich den Philosophen nichts, gar nichts andichtete; sondern die Sachen völlig so näh- me, wie sie wirklich sind; und doch würd
ich
zu dieſem Grade der Deutlichkeit zu kommen, nicht etwa nur gut; es iſt notwendig kurz zu ſeyn. Die Kuͤrze faſſet wenige Theile durch Worte von ſtarker Bedeutung zuſam- men, und leuchtet, gleich einer groſſen Licht- maſſe auf einem Gemaͤlde. Gleichwol iſt ſie es, die am gewoͤnlichſten der Dunkelheit beſchuldigt wird. Aber von wem denn? Von Leuten, denen es entweder an Verſtan- de, oder an Kentniſſen, oder an Aufmerk- ſamkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.
Gegruͤndete Befuͤrchtung.
Wenn ich, ſagte ein Zunftaͤlteſter, etwas ſchreiben moͤchte, das, ohne meine Abſicht, wuͤrde zur Satyre werden; ſo wuͤrd ich eine wahre Geſchichte der Philoſophie ſchreiben. Fromm wie ein Lamm, aber mit voͤlliger Beſtimmung wuͤrd ich es in ſeinem ganzen Umfange auseinanderſezen, wie wenig die allermeiſten Philoſophen zur Erleuchtung des Verſtandes, und zur Lenkung des Her- zens beygetragen haben. Meine Lammfroͤm- migkeit wuͤrde beſonders daraus hervorblicken, daß ich den Philoſophen nichts, gar nichts andichtete; ſondern die Sachen voͤllig ſo naͤh- me, wie ſie wirklich ſind; und doch wuͤrd
ich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0218"n="142"/>
zu dieſem Grade der Deutlichkeit zu kommen,<lb/>
nicht etwa nur gut; es iſt <hirendition="#fr">notwendig</hi> kurz<lb/>
zu ſeyn. Die Kuͤrze faſſet wenige Theile<lb/>
durch Worte von ſtarker Bedeutung zuſam-<lb/>
men, und leuchtet, gleich einer groſſen Licht-<lb/>
maſſe auf einem Gemaͤlde. Gleichwol iſt<lb/>ſie es, die am gewoͤnlichſten der Dunkelheit<lb/>
beſchuldigt wird. Aber von wem denn?<lb/>
Von Leuten, denen es entweder an Verſtan-<lb/>
de, oder an Kentniſſen, oder an Aufmerk-<lb/>ſamkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.</p></div><lb/><divn="3"><head>Gegruͤndete Befuͤrchtung.</head><lb/><p>Wenn ich, ſagte ein Zunftaͤlteſter, etwas<lb/>ſchreiben moͤchte, das, ohne meine Abſicht,<lb/>
wuͤrde zur Satyre werden; ſo wuͤrd ich eine<lb/><hirendition="#fr">wahre</hi> Geſchichte der Philoſophie ſchreiben.<lb/>
Fromm wie ein Lamm, aber mit voͤlliger<lb/>
Beſtimmung wuͤrd ich es in ſeinem ganzen<lb/>
Umfange auseinanderſezen, wie wenig die<lb/><hirendition="#fr">allermeiſten</hi> Philoſophen zur Erleuchtung<lb/>
des Verſtandes, und zur Lenkung des Her-<lb/>
zens beygetragen haben. Meine Lammfroͤm-<lb/>
migkeit wuͤrde beſonders daraus hervorblicken,<lb/>
daß ich den Philoſophen nichts, gar nichts<lb/>
andichtete; ſondern die Sachen voͤllig ſo naͤh-<lb/>
me, wie ſie wirklich ſind; und doch wuͤrd<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ich</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[142/0218]
zu dieſem Grade der Deutlichkeit zu kommen,
nicht etwa nur gut; es iſt notwendig kurz
zu ſeyn. Die Kuͤrze faſſet wenige Theile
durch Worte von ſtarker Bedeutung zuſam-
men, und leuchtet, gleich einer groſſen Licht-
maſſe auf einem Gemaͤlde. Gleichwol iſt
ſie es, die am gewoͤnlichſten der Dunkelheit
beſchuldigt wird. Aber von wem denn?
Von Leuten, denen es entweder an Verſtan-
de, oder an Kentniſſen, oder an Aufmerk-
ſamkeit, oder gar an allen dreyen fehlt.
Gegruͤndete Befuͤrchtung.
Wenn ich, ſagte ein Zunftaͤlteſter, etwas
ſchreiben moͤchte, das, ohne meine Abſicht,
wuͤrde zur Satyre werden; ſo wuͤrd ich eine
wahre Geſchichte der Philoſophie ſchreiben.
Fromm wie ein Lamm, aber mit voͤlliger
Beſtimmung wuͤrd ich es in ſeinem ganzen
Umfange auseinanderſezen, wie wenig die
allermeiſten Philoſophen zur Erleuchtung
des Verſtandes, und zur Lenkung des Her-
zens beygetragen haben. Meine Lammfroͤm-
migkeit wuͤrde beſonders daraus hervorblicken,
daß ich den Philoſophen nichts, gar nichts
andichtete; ſondern die Sachen voͤllig ſo naͤh-
me, wie ſie wirklich ſind; und doch wuͤrd
ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klopstock, Friedrich Gottlieb: Deutsche Gelehrtenrepublik. Hamburg, 1774, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_gelehrtenrepublik_1774/218>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.