großen Platz, in all ihrem Glanz versam- melt sah, schmeichelte er sich einem Freuden- fest beyzuwohnen, da er aber die Elenden unter der Proceßion der Gott lobenden Priester, heulen und wehklagen hörte, über- zeugte er sich bald, daß der Mißbrauch der Religion den Menschen zu dem abscheulich- sten Ungeheuer der Erde macht. Er ge- noß indessen, unter Verwünschung des gan- zen menschlichen Geschlechts, noch immer der Freuden des Lebens und der schönen Weiber in Engelland, Florenz und Spani- en, fieng endlich an zu glauben, alle diese Greuel gehörten nothwendig zu der Natur des Menschen, der ein Thier sey, das ent- weder zerreißen oder zerrissen werden müßte.
9.
Der Teufel, der Fausten durch alle diese Scenen wund und durchglüht sah, und be- merkte, daß sein moralischer Sinn durch das Beschauen dieser Schandthaten, immer
mehr
T 4
großen Platz, in all ihrem Glanz verſam- melt ſah, ſchmeichelte er ſich einem Freuden- feſt beyzuwohnen, da er aber die Elenden unter der Proceßion der Gott lobenden Prieſter, heulen und wehklagen hoͤrte, uͤber- zeugte er ſich bald, daß der Mißbrauch der Religion den Menſchen zu dem abſcheulich- ſten Ungeheuer der Erde macht. Er ge- noß indeſſen, unter Verwuͤnſchung des gan- zen menſchlichen Geſchlechts, noch immer der Freuden des Lebens und der ſchoͤnen Weiber in Engelland, Florenz und Spani- en, fieng endlich an zu glauben, alle dieſe Greuel gehoͤrten nothwendig zu der Natur des Menſchen, der ein Thier ſey, das ent- weder zerreißen oder zerriſſen werden muͤßte.
9.
Der Teufel, der Fauſten durch alle dieſe Scenen wund und durchgluͤht ſah, und be- merkte, daß ſein moraliſcher Sinn durch das Beſchauen dieſer Schandthaten, immer
mehr
T 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0306"n="295"/>
großen Platz, in all ihrem Glanz verſam-<lb/>
melt ſah, ſchmeichelte er ſich einem Freuden-<lb/>
feſt beyzuwohnen, da er aber die Elenden<lb/>
unter der Proceßion der Gott lobenden<lb/>
Prieſter, heulen und wehklagen hoͤrte, uͤber-<lb/>
zeugte er ſich bald, daß der Mißbrauch der<lb/>
Religion den Menſchen zu dem abſcheulich-<lb/>ſten Ungeheuer der Erde macht. Er ge-<lb/>
noß indeſſen, unter Verwuͤnſchung des gan-<lb/>
zen menſchlichen Geſchlechts, noch immer<lb/>
der Freuden des Lebens und der ſchoͤnen<lb/>
Weiber in Engelland, Florenz und Spani-<lb/>
en, fieng endlich an zu glauben, alle dieſe<lb/>
Greuel gehoͤrten nothwendig zu der Natur<lb/>
des Menſchen, der ein Thier ſey, das ent-<lb/>
weder zerreißen oder zerriſſen werden<lb/>
muͤßte.</p></div><lb/><divn="2"><head>9.</head><lb/><p>Der Teufel, der Fauſten durch alle dieſe<lb/>
Scenen wund und durchgluͤht ſah, und be-<lb/>
merkte, daß ſein moraliſcher Sinn durch<lb/>
das Beſchauen dieſer Schandthaten, immer<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">mehr</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[295/0306]
großen Platz, in all ihrem Glanz verſam-
melt ſah, ſchmeichelte er ſich einem Freuden-
feſt beyzuwohnen, da er aber die Elenden
unter der Proceßion der Gott lobenden
Prieſter, heulen und wehklagen hoͤrte, uͤber-
zeugte er ſich bald, daß der Mißbrauch der
Religion den Menſchen zu dem abſcheulich-
ſten Ungeheuer der Erde macht. Er ge-
noß indeſſen, unter Verwuͤnſchung des gan-
zen menſchlichen Geſchlechts, noch immer
der Freuden des Lebens und der ſchoͤnen
Weiber in Engelland, Florenz und Spani-
en, fieng endlich an zu glauben, alle dieſe
Greuel gehoͤrten nothwendig zu der Natur
des Menſchen, der ein Thier ſey, das ent-
weder zerreißen oder zerriſſen werden
muͤßte.
9.
Der Teufel, der Fauſten durch alle dieſe
Scenen wund und durchgluͤht ſah, und be-
merkte, daß ſein moraliſcher Sinn durch
das Beſchauen dieſer Schandthaten, immer
mehr
T 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Klinger, Friedrich Maximilian: Fausts Leben, Thaten und Höllenfahrt. St. Petersburg, 1791, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klinger_faust_1791/306>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.