dennoch bin ich weit entfernt zu glauben, daß die lateinische und deutsche Sprache Sprossen eines und des nämlichen Stammes sind. Wenn die Germa- nen diese Wörter schon gehabt haben, als sie noch die Ufer des schwarzen, und Caspischen Meeres be- wohnten, wo sie noch keine Römer kannten, und wenn dagegen die ersten Bewohner Roms die näm- lichen Wörter schon mit dahin gebracht haben, so ist die Folge klar, daß beyde Völker diese Wörter nicht einander abgelernt, sondern aus einer dritten gemeinschaftlichen Quelle geschöpft haben, daß diese Mittelsprache vielleicht abermal ihre Entstehung an- drren Sprachen zu danken gehabt hat, und so fort bis zu einer Ursprache. Allein dazu fehlen Urkun- den.
§. 20.
Man halte zwey ganz unterschiedene Sprachen gegeneinander, man wähle solche Wörter, die ver- muthlich beyde Völker zu der Zeit, als ihre Spra- che noch sehr einfach, eingeschränkt und arm war, haben mußten; so wird man auch nicht die gering- ste Spur einer Gleichheit finden, ja, wenn man
auch
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uͤber den Urſprung der Sprachen.
dennoch bin ich weit entfernt zu glauben, daß die lateiniſche und deutſche Sprache Sproſſen eines und des naͤmlichen Stammes ſind. Wenn die Germa- nen dieſe Woͤrter ſchon gehabt haben, als ſie noch die Ufer des ſchwarzen, und Caſpiſchen Meeres be- wohnten, wo ſie noch keine Roͤmer kannten, und wenn dagegen die erſten Bewohner Roms die naͤm- lichen Woͤrter ſchon mit dahin gebracht haben, ſo iſt die Folge klar, daß beyde Voͤlker dieſe Woͤrter nicht einander abgelernt, ſondern aus einer dritten gemeinſchaftlichen Quelle geſchoͤpft haben, daß dieſe Mittelſprache vielleicht abermal ihre Entſtehung an- drren Sprachen zu danken gehabt hat, und ſo fort bis zu einer Urſprache. Allein dazu fehlen Urkun- den.
§. 20.
Man halte zwey ganz unterſchiedene Sprachen gegeneinander, man waͤhle ſolche Woͤrter, die ver- muthlich beyde Voͤlker zu der Zeit, als ihre Spra- che noch ſehr einfach, eingeſchraͤnkt und arm war, haben mußten; ſo wird man auch nicht die gering- ſte Spur einer Gleichheit finden, ja, wenn man
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uͤber den Urſprung der Sprachen.
dennoch bin ich weit entfernt zu glauben, daß die
lateiniſche und deutſche Sprache Sproſſen eines und
des naͤmlichen Stammes ſind. Wenn die Germa-
nen dieſe Woͤrter ſchon gehabt haben, als ſie noch
die Ufer des ſchwarzen, und Caſpiſchen Meeres be-
wohnten, wo ſie noch keine Roͤmer kannten, und
wenn dagegen die erſten Bewohner Roms die naͤm-
lichen Woͤrter ſchon mit dahin gebracht haben, ſo
iſt die Folge klar, daß beyde Voͤlker dieſe Woͤrter
nicht einander abgelernt, ſondern aus einer dritten
gemeinſchaftlichen Quelle geſchoͤpft haben, daß dieſe
Mittelſprache vielleicht abermal ihre Entſtehung an-
drren Sprachen zu danken gehabt hat, und ſo fort
bis zu einer Urſprache. Allein dazu fehlen Urkun-
den.
§. 20.
Man halte zwey ganz unterſchiedene Sprachen
gegeneinander, man waͤhle ſolche Woͤrter, die ver-
muthlich beyde Voͤlker zu der Zeit, als ihre Spra-
che noch ſehr einfach, eingeſchraͤnkt und arm war,
haben mußten; ſo wird man auch nicht die gering-
ſte Spur einer Gleichheit finden, ja, wenn man
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Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/63>, abgerufen am 22.02.2025.
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