Er verbeugte sich abermals mit aller Ehrerbietung und sagte:
"Ich bin über mein Geschick nicht weniger erstaunt, als Sie, mein Fräulein! nur daß ich in ungalanter Weise im Vortheil und auf das Angenehmste betroffen bin, während ich auf Ihrem Gebiete bis jetzt nichts als Schaden und Unheil angerichtet habe. Seit heute früh im Freien, um einer naturwissenschaftlichen Beobachtung nachzugehen, habe ich den Tag damit zugebracht, einen Brief von einer Dame zur andern zu tragen, worin, wie Sie sagen, um Rettigsamen gebeten wird; ich habe mich an diesem Berge verirrt, Gärten verwüstet und mich zu¬ letzt da gefangen gesehen, wo ich schon freiwillig habe hingehen wollen! Welcher Meister hat diese schönen und witzigen Anlagen gebaut?"
"Ich selbst habe sie erfunden und angegeben, es sind eben Mädchenlaunen!" sagte die Dame.
Sechstes Capitel. Worin eine Frage geſtellt wird.
Er verbeugte ſich abermals mit aller Ehrerbietung und ſagte:
„Ich bin über mein Geſchick nicht weniger erſtaunt, als Sie, mein Fräulein! nur daß ich in ungalanter Weiſe im Vortheil und auf das Angenehmſte betroffen bin, während ich auf Ihrem Gebiete bis jetzt nichts als Schaden und Unheil angerichtet habe. Seit heute früh im Freien, um einer naturwiſſenſchaftlichen Beobachtung nachzugehen, habe ich den Tag damit zugebracht, einen Brief von einer Dame zur andern zu tragen, worin, wie Sie ſagen, um Rettigſamen gebeten wird; ich habe mich an dieſem Berge verirrt, Gärten verwüſtet und mich zu¬ letzt da gefangen geſehen, wo ich ſchon freiwillig habe hingehen wollen! Welcher Meiſter hat dieſe ſchönen und witzigen Anlagen gebaut?“
„Ich ſelbſt habe ſie erfunden und angegeben, es ſind eben Mädchenlaunen!“ ſagte die Dame.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0044"n="[34]"/><divn="2"><head><hirendition="#b">Sechstes Capitel.<lb/>
Worin eine Frage geſtellt wird.</hi><lb/></head><p><hirendition="#in">E</hi>r verbeugte ſich abermals mit aller Ehrerbietung<lb/>
und ſagte:</p><lb/><p>„Ich bin über mein Geſchick nicht weniger erſtaunt,<lb/>
als Sie, mein Fräulein! nur daß ich in ungalanter Weiſe<lb/>
im Vortheil und auf das Angenehmſte betroffen bin,<lb/>
während ich auf Ihrem Gebiete bis jetzt nichts als<lb/>
Schaden und Unheil angerichtet habe. Seit heute früh<lb/>
im Freien, um einer naturwiſſenſchaftlichen Beobachtung<lb/>
nachzugehen, habe ich den Tag damit zugebracht, einen<lb/>
Brief von einer Dame zur andern zu tragen, worin, wie<lb/>
Sie ſagen, um Rettigſamen gebeten wird; ich habe mich<lb/>
an dieſem Berge verirrt, Gärten verwüſtet und mich zu¬<lb/>
letzt da gefangen geſehen, wo ich ſchon freiwillig habe<lb/>
hingehen wollen! Welcher Meiſter hat dieſe ſchönen und<lb/>
witzigen Anlagen gebaut?“</p><lb/><p>„Ich ſelbſt habe ſie erfunden und angegeben, es ſind<lb/>
eben Mädchenlaunen!“ſagte die Dame.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[[34]/0044]
Sechstes Capitel.
Worin eine Frage geſtellt wird.
Er verbeugte ſich abermals mit aller Ehrerbietung
und ſagte:
„Ich bin über mein Geſchick nicht weniger erſtaunt,
als Sie, mein Fräulein! nur daß ich in ungalanter Weiſe
im Vortheil und auf das Angenehmſte betroffen bin,
während ich auf Ihrem Gebiete bis jetzt nichts als
Schaden und Unheil angerichtet habe. Seit heute früh
im Freien, um einer naturwiſſenſchaftlichen Beobachtung
nachzugehen, habe ich den Tag damit zugebracht, einen
Brief von einer Dame zur andern zu tragen, worin, wie
Sie ſagen, um Rettigſamen gebeten wird; ich habe mich
an dieſem Berge verirrt, Gärten verwüſtet und mich zu¬
letzt da gefangen geſehen, wo ich ſchon freiwillig habe
hingehen wollen! Welcher Meiſter hat dieſe ſchönen und
witzigen Anlagen gebaut?“
„Ich ſelbſt habe ſie erfunden und angegeben, es ſind
eben Mädchenlaunen!“ ſagte die Dame.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. [34]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/44>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.