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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Verhältnisse vergaß und allein gespannt war auf
die zuströmende Erfahrung. Hauptsächlich be¬
schäftigte ihn alsobald die wunderbar scheinende
Zweckmäßgkeit in den Einzelheiten des thierischen
Organismus; jede neue Thatsache schien ihm ein
Beweis zu sein von der Scharfsinnigkeit und
Geschicklichkeit Gottes, und obgleich er sich sein
Leben lang die ganze Welt nur als vorgedacht
und geschaffen vorgestellt hatte, so war es ihm
nun bei diesem ersten Einblicke zu Muth, als ob
er bisher eigentlich gar nichts gewußt hätte von
der Erschaffung der Creatur, dagegen jetzt mit
der lebendigsten Ueberzeugung wider Jedermann
das Dasein und die Weisheit des Schöpfers be¬
haupten könne und wolle. Aber nachdem der
kluge Lehrer die Trefflichkeit und Unentbehrlichkeit
der Dinge auf das Schönste geschildert, ließ er
sie unvermerkt in sich selbst ruhen und so voll¬
kommen in einander aufgehen, daß die ausschwei¬
fenden Schöpfergedanken eben so unvermerkt zu¬
rückkehrten und in den geschlossenen Kreis der
Thatsachen gebannt blieben, welcher jener Schlange
der Ewigkeit gleicht, die sich selbst in den Schwanz

Verhaͤltniſſe vergaß und allein geſpannt war auf
die zuſtroͤmende Erfahrung. Hauptſaͤchlich be¬
ſchaͤftigte ihn alſobald die wunderbar ſcheinende
Zweckmaͤßgkeit in den Einzelheiten des thieriſchen
Organismus; jede neue Thatſache ſchien ihm ein
Beweis zu ſein von der Scharfſinnigkeit und
Geſchicklichkeit Gottes, und obgleich er ſich ſein
Leben lang die ganze Welt nur als vorgedacht
und geſchaffen vorgeſtellt hatte, ſo war es ihm
nun bei dieſem erſten Einblicke zu Muth, als ob
er bisher eigentlich gar nichts gewußt haͤtte von
der Erſchaffung der Creatur, dagegen jetzt mit
der lebendigſten Ueberzeugung wider Jedermann
das Daſein und die Weisheit des Schoͤpfers be¬
haupten koͤnne und wolle. Aber nachdem der
kluge Lehrer die Trefflichkeit und Unentbehrlichkeit
der Dinge auf das Schoͤnſte geſchildert, ließ er
ſie unvermerkt in ſich ſelbſt ruhen und ſo voll¬
kommen in einander aufgehen, daß die ausſchwei¬
fenden Schoͤpfergedanken eben ſo unvermerkt zu¬
ruͤckkehrten und in den geſchloſſenen Kreis der
Thatſachen gebannt blieben, welcher jener Schlange
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[47/0057] Verhaͤltniſſe vergaß und allein geſpannt war auf die zuſtroͤmende Erfahrung. Hauptſaͤchlich be¬ ſchaͤftigte ihn alſobald die wunderbar ſcheinende Zweckmaͤßgkeit in den Einzelheiten des thieriſchen Organismus; jede neue Thatſache ſchien ihm ein Beweis zu ſein von der Scharfſinnigkeit und Geſchicklichkeit Gottes, und obgleich er ſich ſein Leben lang die ganze Welt nur als vorgedacht und geſchaffen vorgeſtellt hatte, ſo war es ihm nun bei dieſem erſten Einblicke zu Muth, als ob er bisher eigentlich gar nichts gewußt haͤtte von der Erſchaffung der Creatur, dagegen jetzt mit der lebendigſten Ueberzeugung wider Jedermann das Daſein und die Weisheit des Schoͤpfers be¬ haupten koͤnne und wolle. Aber nachdem der kluge Lehrer die Trefflichkeit und Unentbehrlichkeit der Dinge auf das Schoͤnſte geſchildert, ließ er ſie unvermerkt in ſich ſelbſt ruhen und ſo voll¬ kommen in einander aufgehen, daß die ausſchwei¬ fenden Schoͤpfergedanken eben ſo unvermerkt zu¬ ruͤckkehrten und in den geſchloſſenen Kreis der Thatſachen gebannt blieben, welcher jener Schlange der Ewigkeit gleicht, die ſich ſelbſt in den Schwanz

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/57>, abgerufen am 26.04.2024.