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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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kalten Aufsichberuhenlassen einer Sache einen um
so größeren heimlichen Hochmuth und einen Dorn
im Bewußtsein Aller davonträgt. Diese Weise
machte sich um so leichter geltend, als es sich bald
bemerklich machte, daß nur diejenigen, welche
einen wirklich bösen Willen oder eine gewisse Un¬
fähigkeit besitzen mochten, mit jenem kalthöflichen
Abbrechen sich zurückzuziehen beliebten, und Jeder
also auch den Schein hiervon vermeiden wollte.
In solchen Fällen stellte es sich dann auf das
Liebenswürdigste heraus, daß durch diesen bloßen
Schein die innerlich Widerstrebenden und Murren¬
den doch eine goldene Brücke fanden und unver¬
merkt auf die bessere Seite gezogen wurden und
so einen Gewinn davontrugen, den sie früher
nie gekannt in ihrem verstockten Wesen. Zugleich
kam die löbliche Manier auf, Alles im gleichen
Flusse und mit gleicher Schwere oder Leichtigkeit
zu behandeln und die anmaßliche Art zu unter¬
drücken, einzelne vorübergehende Entdeckungen,
Einfälle und Bemerkungen feierlich zu betonen
und steifschreierisch vorzutragen, als ob jeden
Augenblick eine Perle gefunden wäre zu unge¬

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kalten Aufſichberuhenlaſſen einer Sache einen um
ſo groͤßeren heimlichen Hochmuth und einen Dorn
im Bewußtſein Aller davontraͤgt. Dieſe Weiſe
machte ſich um ſo leichter geltend, als es ſich bald
bemerklich machte, daß nur diejenigen, welche
einen wirklich boͤſen Willen oder eine gewiſſe Un¬
faͤhigkeit beſitzen mochten, mit jenem kalthoͤflichen
Abbrechen ſich zuruͤckzuziehen beliebten, und Jeder
alſo auch den Schein hiervon vermeiden wollte.
In ſolchen Faͤllen ſtellte es ſich dann auf das
Liebenswuͤrdigſte heraus, daß durch dieſen bloßen
Schein die innerlich Widerſtrebenden und Murren¬
den doch eine goldene Bruͤcke fanden und unver¬
merkt auf die beſſere Seite gezogen wurden und
ſo einen Gewinn davontrugen, den ſie fruͤher
nie gekannt in ihrem verſtockten Weſen. Zugleich
kam die loͤbliche Manier auf, Alles im gleichen
Fluſſe und mit gleicher Schwere oder Leichtigkeit
zu behandeln und die anmaßliche Art zu unter¬
druͤcken, einzelne voruͤbergehende Entdeckungen,
Einfaͤlle und Bemerkungen feierlich zu betonen
und ſteifſchreieriſch vorzutragen, als ob jeden
Augenblick eine Perle gefunden waͤre zu unge¬

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[147/0157] kalten Aufſichberuhenlaſſen einer Sache einen um ſo groͤßeren heimlichen Hochmuth und einen Dorn im Bewußtſein Aller davontraͤgt. Dieſe Weiſe machte ſich um ſo leichter geltend, als es ſich bald bemerklich machte, daß nur diejenigen, welche einen wirklich boͤſen Willen oder eine gewiſſe Un¬ faͤhigkeit beſitzen mochten, mit jenem kalthoͤflichen Abbrechen ſich zuruͤckzuziehen beliebten, und Jeder alſo auch den Schein hiervon vermeiden wollte. In ſolchen Faͤllen ſtellte es ſich dann auf das Liebenswuͤrdigſte heraus, daß durch dieſen bloßen Schein die innerlich Widerſtrebenden und Murren¬ den doch eine goldene Bruͤcke fanden und unver¬ merkt auf die beſſere Seite gezogen wurden und ſo einen Gewinn davontrugen, den ſie fruͤher nie gekannt in ihrem verſtockten Weſen. Zugleich kam die loͤbliche Manier auf, Alles im gleichen Fluſſe und mit gleicher Schwere oder Leichtigkeit zu behandeln und die anmaßliche Art zu unter¬ druͤcken, einzelne voruͤbergehende Entdeckungen, Einfaͤlle und Bemerkungen feierlich zu betonen und ſteifſchreieriſch vorzutragen, als ob jeden Augenblick eine Perle gefunden waͤre zu unge¬ 10 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/157>, abgerufen am 26.04.2024.