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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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einzelnen Tage in der Geschichte stehe u. s. w.?
Dies alles betrieb er nicht, um eine Kalenderwis¬
senschaft aufzustellen, sondern lediglich um die
Eine moralische Anschauung von allen Dingen zu
verstärken. Durch diese Anschauung wurde er
befähigt, schon im Beginn einer Bewegung nach
ihren Mitteln und nach ihrer Natur die Hoffnung
oder Furcht zu beschränken, die er auf sie zu setzen
hatte, wie es einem besonnenen, freien Staats-
und Weltbürger geziemt. Es ist, nicht leider,
sondern glücklicher Weise, kein Gemeinplatz, son¬
dern eine eiserne Wahrheit, daß in der Geschichte
überall keine Hexerei, sondern das Sprüchlein:
wie man's treibt, so geht's! die lehrreichste Er¬
klärung für Alles ist.

Der ruhige feste Gleichmuth, welcher aus sol¬
cher Auffassung des Ganzen und Vergleichung des
Einzelnen hervorgeht, glücklich gemischt mit leben¬
digem Gefühl und Feuer für das nächst zu Er¬
greifende und Selbsterlebte, macht erst den guten
und wohlgebildeten Weltbürger aus. Denn wenn
er in diesen, in seinen eigenen Bestrebungen
scheitert oder ein großes Mißlingen oder einen

einzelnen Tage in der Geſchichte ſtehe u. ſ. w.?
Dies alles betrieb er nicht, um eine Kalenderwiſ¬
ſenſchaft aufzuſtellen, ſondern lediglich um die
Eine moraliſche Anſchauung von allen Dingen zu
verſtaͤrken. Durch dieſe Anſchauung wurde er
befaͤhigt, ſchon im Beginn einer Bewegung nach
ihren Mitteln und nach ihrer Natur die Hoffnung
oder Furcht zu beſchraͤnken, die er auf ſie zu ſetzen
hatte, wie es einem beſonnenen, freien Staats-
und Weltbuͤrger geziemt. Es iſt, nicht leider,
ſondern gluͤcklicher Weiſe, kein Gemeinplatz, ſon¬
dern eine eiſerne Wahrheit, daß in der Geſchichte
uͤberall keine Hexerei, ſondern das Spruͤchlein:
wie man's treibt, ſo geht's! die lehrreichſte Er¬
klaͤrung fuͤr Alles iſt.

Der ruhige feſte Gleichmuth, welcher aus ſol¬
cher Auffaſſung des Ganzen und Vergleichung des
Einzelnen hervorgeht, gluͤcklich gemiſcht mit leben¬
digem Gefuͤhl und Feuer fuͤr das naͤchſt zu Er¬
greifende und Selbſterlebte, macht erſt den guten
und wohlgebildeten Weltbuͤrger aus. Denn wenn
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[100/0110] einzelnen Tage in der Geſchichte ſtehe u. ſ. w.? Dies alles betrieb er nicht, um eine Kalenderwiſ¬ ſenſchaft aufzuſtellen, ſondern lediglich um die Eine moraliſche Anſchauung von allen Dingen zu verſtaͤrken. Durch dieſe Anſchauung wurde er befaͤhigt, ſchon im Beginn einer Bewegung nach ihren Mitteln und nach ihrer Natur die Hoffnung oder Furcht zu beſchraͤnken, die er auf ſie zu ſetzen hatte, wie es einem beſonnenen, freien Staats- und Weltbuͤrger geziemt. Es iſt, nicht leider, ſondern gluͤcklicher Weiſe, kein Gemeinplatz, ſon¬ dern eine eiſerne Wahrheit, daß in der Geſchichte uͤberall keine Hexerei, ſondern das Spruͤchlein: wie man's treibt, ſo geht's! die lehrreichſte Er¬ klaͤrung fuͤr Alles iſt. Der ruhige feſte Gleichmuth, welcher aus ſol¬ cher Auffaſſung des Ganzen und Vergleichung des Einzelnen hervorgeht, gluͤcklich gemiſcht mit leben¬ digem Gefuͤhl und Feuer fuͤr das naͤchſt zu Er¬ greifende und Selbſterlebte, macht erſt den guten und wohlgebildeten Weltbuͤrger aus. Denn wenn er in dieſen, in ſeinen eigenen Beſtrebungen ſcheitert oder ein großes Mißlingen oder einen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/110>, abgerufen am 26.04.2024.