Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764.Erstes Buch. An Mademoiselle W. Buchholz, (Den 30ten des Wintermonaths 1761.)auf ihren Geburtstag. Du aus den Händen der Natur, Zu ihrem Ruhm hervorgegangne Schöne! Jetzt singet, auf der arm gewordnen Flur, Nicht mehr die Lerche. Jetzt verlernt die Thöne Selbst deiner Schwester Nachtigall. Sie schweigt In ihrem melancholischen Gehäuse; Tief denkend sitzt sie da -- so sitzet oft der Weise, Der Menschenfreund, wenn fremde Noth ihn beugt, Wenn drückend Elend kommt mit jung gewordnen Tagen, Wenn durch das Vaterland die lautgestöhnten Klagen Erschallen allgemein: Dann sitzet traurig er, Verstummt von Schmerz, und blickt umher, Ob aufgeklärtre Tage kommen -- Du holdes Mädchen, von zwey Frommen, Erſtes Buch. An Mademoiſelle W. Buchholz, (Den 30ten des Wintermonaths 1761.)auf ihren Geburtstag. Du aus den Haͤnden der Natur, Zu ihrem Ruhm hervorgegangne Schoͤne! Jetzt ſinget, auf der arm gewordnen Flur, Nicht mehr die Lerche. Jetzt verlernt die Thoͤne Selbſt deiner Schweſter Nachtigall. Sie ſchweigt In ihrem melancholiſchen Gehaͤuſe; Tief denkend ſitzt ſie da — ſo ſitzet oft der Weiſe, Der Menſchenfreund, wenn fremde Noth ihn beugt, Wenn druͤckend Elend kommt mit jung gewordnen Tagen, Wenn durch das Vaterland die lautgeſtoͤhnten Klagen Erſchallen allgemein: Dann ſitzet traurig er, Verſtummt von Schmerz, und blickt umher, Ob aufgeklaͤrtre Tage kommen — Du holdes Maͤdchen, von zwey Frommen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0345" n="301"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Erſtes Buch.</hi> </fw><lb/> <div n="2"> <head><hi rendition="#b">An Mademoiſelle W. Buchholz,</hi><lb/> auf ihren Geburtstag.</head><lb/> <dateline> <hi rendition="#c">(Den 30ten des Wintermonaths 1761.)</hi> </dateline><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem" n="26"> <l>Du aus den Haͤnden der Natur,<lb/> Zu ihrem Ruhm hervorgegangne Schoͤne!<lb/> Jetzt ſinget, auf der arm gewordnen Flur,<lb/> Nicht mehr die Lerche. Jetzt verlernt die Thoͤne<lb/> Selbſt deiner Schweſter Nachtigall. Sie ſchweigt<lb/> In ihrem melancholiſchen Gehaͤuſe;<lb/> Tief denkend ſitzt ſie da — ſo ſitzet oft der Weiſe,<lb/> Der Menſchenfreund, wenn fremde Noth ihn beugt,<lb/> Wenn druͤckend Elend kommt mit jung gewordnen<lb/><hi rendition="#et">Tagen,</hi><lb/> Wenn durch das Vaterland die lautgeſtoͤhnten Klagen<lb/> Erſchallen allgemein: Dann ſitzet traurig er,<lb/> Verſtummt von Schmerz, und blickt umher,<lb/> Ob aufgeklaͤrtre Tage kommen —<lb/> Du holdes Maͤdchen, von zwey Frommen,<lb/></l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [301/0345]
Erſtes Buch.
An Mademoiſelle W. Buchholz,
auf ihren Geburtstag.
(Den 30ten des Wintermonaths 1761.)
Du aus den Haͤnden der Natur,
Zu ihrem Ruhm hervorgegangne Schoͤne!
Jetzt ſinget, auf der arm gewordnen Flur,
Nicht mehr die Lerche. Jetzt verlernt die Thoͤne
Selbſt deiner Schweſter Nachtigall. Sie ſchweigt
In ihrem melancholiſchen Gehaͤuſe;
Tief denkend ſitzt ſie da — ſo ſitzet oft der Weiſe,
Der Menſchenfreund, wenn fremde Noth ihn beugt,
Wenn druͤckend Elend kommt mit jung gewordnen
Tagen,
Wenn durch das Vaterland die lautgeſtoͤhnten Klagen
Erſchallen allgemein: Dann ſitzet traurig er,
Verſtummt von Schmerz, und blickt umher,
Ob aufgeklaͤrtre Tage kommen —
Du holdes Maͤdchen, von zwey Frommen,
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