nunftgebrauch in Ansehung der besonderen Erfahrungs- gesetze gilt) mit der Heteronomie der anderen, welche sich nach den von dem Verstande gegebenen (allgemeinen oder besondern Gesetzen) richten muß, verwechselt.
§. 72. Von den mancherley Systemen über die Zweckmäßigkeit der Natur.
Die Richtigkeit des Grundsatzes: daß über gewisse Dinge der Natur (organisirte Wesen) und ihre Möglich- keit nach dem Begriffe von Endursachen geurtheilt wer- den müsse, selbst auch nur wenn man, um ihre Beschaf- fenheit durch Beobachtung kennen zu lernen, einen Leitfaden verlangt, ohne sich bis zur Untersuchung über ihren ersten Ursprung zu versteigen, hat noch nie- mand bezweifelt. Die Frage kann also nur seyn: ob dieser Grundsatz blos subjectiv gültig, d. i. blos Maxime unserer Urtheilskraft oder ein objectives Princip der Na- tur sey, nach welchem ihr, ausser ihrem Mechanism (nach bloßen Bewegungsgesetzen), noch eine andere Art von Caussalität zukomme, nämlich die der Endursachen, unter denen jene (der bewegenden Kräfte) nur als Mit- telursachen ständen.
Nun könnte man diese Frage, oder Aufgabe für die Speculation, gänz ich unausgemacht und unaufgelöset lassen; weil, wenn wir uns mit der letzteren innerhalb den Gränzen der bloßen Naturerkenntnis begnügen, wir
II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
nunftgebrauch in Anſehung der beſonderen Erfahrungs- geſetze gilt) mit der Heteronomie der anderen, welche ſich nach den von dem Verſtande gegebenen (allgemeinen oder beſondern Geſetzen) richten muß, verwechſelt.
§. 72. Von den mancherley Syſtemen uͤber die Zweckmaͤßigkeit der Natur.
Die Richtigkeit des Grundſatzes: daß uͤber gewiſſe Dinge der Natur (organiſirte Weſen) und ihre Moͤglich- keit nach dem Begriffe von Endurſachen geurtheilt wer- den muͤſſe, ſelbſt auch nur wenn man, um ihre Beſchaf- fenheit durch Beobachtung kennen zu lernen, einen Leitfaden verlangt, ohne ſich bis zur Unterſuchung uͤber ihren erſten Urſprung zu verſteigen, hat noch nie- mand bezweifelt. Die Frage kann alſo nur ſeyn: ob dieſer Grundſatz blos ſubjectiv guͤltig, d. i. blos Maxime unſerer Urtheilskraft oder ein objectives Princip der Na- tur ſey, nach welchem ihr, auſſer ihrem Mechanism (nach bloßen Bewegungsgeſetzen), noch eine andere Art von Cauſſalitaͤt zukomme, naͤmlich die der Endurſachen, unter denen jene (der bewegenden Kraͤfte) nur als Mit- telurſachen ſtaͤnden.
Nun koͤnnte man dieſe Frage, oder Aufgabe fuͤr die Speculation, gaͤnz ich unausgemacht und unaufgeloͤſet laſſen; weil, wenn wir uns mit der letzteren innerhalb den Graͤnzen der bloßen Naturerkenntnis begnuͤgen, wir
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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
nunftgebrauch in Anſehung der beſonderen Erfahrungs-
geſetze gilt) mit der Heteronomie der anderen, welche
ſich nach den von dem Verſtande gegebenen (allgemeinen
oder beſondern Geſetzen) richten muß, verwechſelt.
§. 72.
Von den mancherley Syſtemen uͤber die
Zweckmaͤßigkeit der Natur.
Die Richtigkeit des Grundſatzes: daß uͤber gewiſſe
Dinge der Natur (organiſirte Weſen) und ihre Moͤglich-
keit nach dem Begriffe von Endurſachen geurtheilt wer-
den muͤſſe, ſelbſt auch nur wenn man, um ihre Beſchaf-
fenheit durch Beobachtung kennen zu lernen, einen
Leitfaden verlangt, ohne ſich bis zur Unterſuchung
uͤber ihren erſten Urſprung zu verſteigen, hat noch nie-
mand bezweifelt. Die Frage kann alſo nur ſeyn: ob
dieſer Grundſatz blos ſubjectiv guͤltig, d. i. blos Maxime
unſerer Urtheilskraft oder ein objectives Princip der Na-
tur ſey, nach welchem ihr, auſſer ihrem Mechanism
(nach bloßen Bewegungsgeſetzen), noch eine andere Art
von Cauſſalitaͤt zukomme, naͤmlich die der Endurſachen,
unter denen jene (der bewegenden Kraͤfte) nur als Mit-
telurſachen ſtaͤnden.
Nun koͤnnte man dieſe Frage, oder Aufgabe fuͤr die
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/379>, abgerufen am 20.11.2024.
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