Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Methodenlehre IV. Hauptst.
Der
Transscendentalen Methodenlehre
Viertes Hauptstück.
Die Geschichte der reinen Vernunft.

Dieser Titel steht nur hier, um eine Stelle zu bezeich-
nen, die im System übrig bleibt und künftig aus-
gefüllet werden muß. Ich begnüge mich, aus einem blos
transscendentalen Gesichtspuncte, nemlich der Natur der
reinen Vernunft, einen flüchtigen Blick auf das Ganze
der bisherigen Bearbeitungen derselben zu werfen, welches
freilich meinem Auge zwar Gebäude, aber nur in Ruinen
vorstellt.

Es ist merkwürdig gnug, ob es gleich natürlicher
Weise nicht anders zugehen konte, daß die Menschen im
Kindesalter der Philosophie davon anfiengen, wo wir iezt
lieber endigen mögten, nemlich, zuerst die Erkentniß Gottes
und Hoffnung, oder wol gar die Beschaffenheit einer
andern Welt zu studiren. Was auch die alte Gebräuche,
die noch von dem rohen Zustande der Völker übrig waren,
vor grobe Religionsbegriffe eingeführt haben mochten, so
hinderte dieses doch nicht den aufgeklärtern Theil, sich
freien Nachforschungen über diesen Gegenstand zu widmen
und man sahe leicht ein, daß es keine gründliche und zu-
verlässigere Art geben könne, der unsichtbaren Macht, die
die Welt regiert, zu gefallen, um wenigstens in einer andern

Welt
Methodenlehre IV. Hauptſt.
Der
Transſcendentalen Methodenlehre
Viertes Hauptſtuͤck.
Die Geſchichte der reinen Vernunft.

Dieſer Titel ſteht nur hier, um eine Stelle zu bezeich-
nen, die im Syſtem uͤbrig bleibt und kuͤnftig aus-
gefuͤllet werden muß. Ich begnuͤge mich, aus einem blos
transſcendentalen Geſichtspuncte, nemlich der Natur der
reinen Vernunft, einen fluͤchtigen Blick auf das Ganze
der bisherigen Bearbeitungen derſelben zu werfen, welches
freilich meinem Auge zwar Gebaͤude, aber nur in Ruinen
vorſtellt.

Es iſt merkwuͤrdig gnug, ob es gleich natuͤrlicher
Weiſe nicht anders zugehen konte, daß die Menſchen im
Kindesalter der Philoſophie davon anfiengen, wo wir iezt
lieber endigen moͤgten, nemlich, zuerſt die Erkentniß Gottes
und Hoffnung, oder wol gar die Beſchaffenheit einer
andern Welt zu ſtudiren. Was auch die alte Gebraͤuche,
die noch von dem rohen Zuſtande der Voͤlker uͤbrig waren,
vor grobe Religionsbegriffe eingefuͤhrt haben mochten, ſo
hinderte dieſes doch nicht den aufgeklaͤrtern Theil, ſich
freien Nachforſchungen uͤber dieſen Gegenſtand zu widmen
und man ſahe leicht ein, daß es keine gruͤndliche und zu-
verlaͤſſigere Art geben koͤnne, der unſichtbaren Macht, die
die Welt regiert, zu gefallen, um wenigſtens in einer andern

Welt
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0882" n="852"/>
        <fw place="top" type="header">Methodenlehre <hi rendition="#aq">IV.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g">Der</hi><lb/> <hi rendition="#b">Trans&#x017F;cendentalen Methodenlehre<lb/><hi rendition="#g">Viertes Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck</hi>.<lb/>
Die Ge&#x017F;chichte der reinen Vernunft.</hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie&#x017F;er Titel &#x017F;teht nur hier, um eine Stelle zu bezeich-<lb/>
nen, die im Sy&#x017F;tem u&#x0364;brig bleibt und ku&#x0364;nftig aus-<lb/>
gefu&#x0364;llet werden muß. Ich begnu&#x0364;ge mich, aus einem blos<lb/>
trans&#x017F;cendentalen Ge&#x017F;ichtspuncte, nemlich der Natur der<lb/>
reinen Vernunft, einen flu&#x0364;chtigen Blick auf das Ganze<lb/>
der bisherigen Bearbeitungen der&#x017F;elben zu werfen, welches<lb/>
freilich meinem Auge zwar Geba&#x0364;ude, aber nur in Ruinen<lb/>
vor&#x017F;tellt.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig gnug, ob es gleich natu&#x0364;rlicher<lb/>
Wei&#x017F;e nicht anders zugehen konte, daß die Men&#x017F;chen im<lb/>
Kindesalter der Philo&#x017F;ophie davon anfiengen, wo wir iezt<lb/>
lieber endigen mo&#x0364;gten, nemlich, zuer&#x017F;t die Erkentniß Gottes<lb/>
und Hoffnung, oder wol gar die Be&#x017F;chaffenheit einer<lb/>
andern Welt zu &#x017F;tudiren. Was auch die alte Gebra&#x0364;uche,<lb/>
die noch von dem rohen Zu&#x017F;tande der Vo&#x0364;lker u&#x0364;brig waren,<lb/>
vor grobe Religionsbegriffe eingefu&#x0364;hrt haben mochten, &#x017F;o<lb/>
hinderte die&#x017F;es doch nicht den aufgekla&#x0364;rtern Theil, &#x017F;ich<lb/>
freien Nachfor&#x017F;chungen u&#x0364;ber die&#x017F;en Gegen&#x017F;tand zu widmen<lb/>
und man &#x017F;ahe leicht ein, daß es keine gru&#x0364;ndliche und zu-<lb/>
verla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igere Art geben ko&#x0364;nne, der un&#x017F;ichtbaren Macht, die<lb/>
die Welt regiert, zu gefallen, um wenig&#x017F;tens in einer andern<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Welt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[852/0882] Methodenlehre IV. Hauptſt. Der Transſcendentalen Methodenlehre Viertes Hauptſtuͤck. Die Geſchichte der reinen Vernunft. Dieſer Titel ſteht nur hier, um eine Stelle zu bezeich- nen, die im Syſtem uͤbrig bleibt und kuͤnftig aus- gefuͤllet werden muß. Ich begnuͤge mich, aus einem blos transſcendentalen Geſichtspuncte, nemlich der Natur der reinen Vernunft, einen fluͤchtigen Blick auf das Ganze der bisherigen Bearbeitungen derſelben zu werfen, welches freilich meinem Auge zwar Gebaͤude, aber nur in Ruinen vorſtellt. Es iſt merkwuͤrdig gnug, ob es gleich natuͤrlicher Weiſe nicht anders zugehen konte, daß die Menſchen im Kindesalter der Philoſophie davon anfiengen, wo wir iezt lieber endigen moͤgten, nemlich, zuerſt die Erkentniß Gottes und Hoffnung, oder wol gar die Beſchaffenheit einer andern Welt zu ſtudiren. Was auch die alte Gebraͤuche, die noch von dem rohen Zuſtande der Voͤlker uͤbrig waren, vor grobe Religionsbegriffe eingefuͤhrt haben mochten, ſo hinderte dieſes doch nicht den aufgeklaͤrtern Theil, ſich freien Nachforſchungen uͤber dieſen Gegenſtand zu widmen und man ſahe leicht ein, daß es keine gruͤndliche und zu- verlaͤſſigere Art geben koͤnne, der unſichtbaren Macht, die die Welt regiert, zu gefallen, um wenigſtens in einer andern Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/882
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 852. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/882>, abgerufen am 22.12.2024.