I. Von der Deduction der Grundsätze der reinen practischen Vernunft.
Diese Analytik thut dar, daß reine Vernunft practisch seyn, d. i. für sich, unabhängig von allem Empirischen, den Willen bestimmen könne -- und dieses zwar durch ein Factum, worin sich reine Vernunft bey uns in der That practisch beweiset, nemlich die Avtonomie in dem Grundsatze der Sittlichkeit, wodurch sie den Willen zur That bestimmt. -- Sie zeigt zugleich, daß dieses Factum mit dem Bewußtseyn der Freyheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerley sey, wo- durch der Wille eines vernünftigen Wesens, das, als zur Sinnenwelt gehörig, sich, gleich anderen wirksa- men Ursachen, nothwendig den Gesetzen der Causalität unterworfen erkennt, im Practischen, doch zugleich sich auf einer andern Seite, nemlich als Wesen an sich selbst, seines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge bestimmbaren Daseyns bewußt ist, zwar nicht einer be- sondern Anschauung seiner selbst, sondern gewissen dy- namischen Gesetzen gemäß, die die Causalität desselben in der Sinnenwelt bestimmen können; denn, daß Frey- heit, wenn sie uns beygelegt wird, uns in eine intelli- gibele Ordnung der Dinge versetze, ist anderwerts hin- reichend bewiesen worden.
Wenn
I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
I. Von der Deduction der Grundſaͤtze der reinen practiſchen Vernunft.
Dieſe Analytik thut dar, daß reine Vernunft practiſch ſeyn, d. i. fuͤr ſich, unabhaͤngig von allem Empiriſchen, den Willen beſtimmen koͤnne — und dieſes zwar durch ein Factum, worin ſich reine Vernunft bey uns in der That practiſch beweiſet, nemlich die Avtonomie in dem Grundſatze der Sittlichkeit, wodurch ſie den Willen zur That beſtimmt. — Sie zeigt zugleich, daß dieſes Factum mit dem Bewußtſeyn der Freyheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerley ſey, wo- durch der Wille eines vernuͤnftigen Weſens, das, als zur Sinnenwelt gehoͤrig, ſich, gleich anderen wirkſa- men Urſachen, nothwendig den Geſetzen der Cauſalitaͤt unterworfen erkennt, im Practiſchen, doch zugleich ſich auf einer andern Seite, nemlich als Weſen an ſich ſelbſt, ſeines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge beſtimmbaren Daſeyns bewußt iſt, zwar nicht einer be- ſondern Anſchauung ſeiner ſelbſt, ſondern gewiſſen dy- namiſchen Geſetzen gemaͤß, die die Cauſalitaͤt deſſelben in der Sinnenwelt beſtimmen koͤnnen; denn, daß Frey- heit, wenn ſie uns beygelegt wird, uns in eine intelli- gibele Ordnung der Dinge verſetze, iſt anderwerts hin- reichend bewieſen worden.
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I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
I.
Von der
Deduction der Grundſaͤtze
der reinen practiſchen Vernunft.
Dieſe Analytik thut dar, daß reine Vernunft practiſch
ſeyn, d. i. fuͤr ſich, unabhaͤngig von allem Empiriſchen,
den Willen beſtimmen koͤnne — und dieſes zwar durch
ein Factum, worin ſich reine Vernunft bey uns in der
That practiſch beweiſet, nemlich die Avtonomie in dem
Grundſatze der Sittlichkeit, wodurch ſie den Willen zur
That beſtimmt. — Sie zeigt zugleich, daß dieſes
Factum mit dem Bewußtſeyn der Freyheit des Willens
unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerley ſey, wo-
durch der Wille eines vernuͤnftigen Weſens, das, als
zur Sinnenwelt gehoͤrig, ſich, gleich anderen wirkſa-
men Urſachen, nothwendig den Geſetzen der Cauſalitaͤt
unterworfen erkennt, im Practiſchen, doch zugleich ſich
auf einer andern Seite, nemlich als Weſen an ſich
ſelbſt, ſeines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge
beſtimmbaren Daſeyns bewußt iſt, zwar nicht einer be-
ſondern Anſchauung ſeiner ſelbſt, ſondern gewiſſen dy-
namiſchen Geſetzen gemaͤß, die die Cauſalitaͤt deſſelben
in der Sinnenwelt beſtimmen koͤnnen; denn, daß Frey-
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/80>, abgerufen am 03.03.2025.
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