Willkühr in der, aus irgend eines Gegenstandes Wirk- lichkeit zu empfindenden, Lust oder Unlust setzen, so fern gänzlich von einerley Art, daß sie insgesamt zum Prin- cip der Selbstliebe, oder eigenen Glückseligkeit gehören.
Folgerung.
Alle materiale practische Regeln setzen den Be- stimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungs- vermögen, und, gäbe es gar keine blos formale Ge- setze desselben, die den Willen hinreichend bestimmeten, so würde auch kein oberes Begehrungsvermögen ein- geräumt werden können.
AnmerkungI.
Man muß sich wundern, wie sonst scharfsinnige Männer einen Unterschied zwischen dem unteren und oberen Begeh- rungsvermögen darin zu finden glauben können, ob die Vorstellungen, die mit dem Gefühl der Lust verbunden sind, in den Sinnen, oder dem Verstande ihren Ursprung haben. Denn es kommt, wenn man nach den Bestimmungs- gründen des Begehrens frägt und sie in einer von irgend et- was erwarteten Annehmlichkeit setzt, gar nicht darauf an, wo die Vorstellung dieses vergnügenden Gegenstandes herkomme, sondern nur wie sehr sie vergnügt. Wenn eine Vorstellung, sie mag immerhin im Verstande ihren Sitz und Ursprung ha- ben, die Willkühr nur dadurch bestimmen kann, daß sie ein Gefühl einer Lust im Subjecte voraussetzet, so ist, daß sie ein Bestimmungsgrund der Willkühr sey, gänzlich von der Be- schaffenheit des inneren Sinnes abhängig, daß dieser nemlich dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die Vor-
stellun-
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der reinen practiſchen Vernunft.
Willkuͤhr in der, aus irgend eines Gegenſtandes Wirk- lichkeit zu empfindenden, Luſt oder Unluſt ſetzen, ſo fern gaͤnzlich von einerley Art, daß ſie insgeſamt zum Prin- cip der Selbſtliebe, oder eigenen Gluͤckſeligkeit gehoͤren.
Folgerung.
Alle materiale practiſche Regeln ſetzen den Be- ſtimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungs- vermoͤgen, und, gaͤbe es gar keine blos formale Ge- ſetze deſſelben, die den Willen hinreichend beſtimmeten, ſo wuͤrde auch kein oberes Begehrungsvermoͤgen ein- geraͤumt werden koͤnnen.
AnmerkungI.
Man muß ſich wundern, wie ſonſt ſcharfſinnige Maͤnner einen Unterſchied zwiſchen dem unteren und oberen Begeh- rungsvermoͤgen darin zu finden glauben koͤnnen, ob die Vorſtellungen, die mit dem Gefuͤhl der Luſt verbunden ſind, in den Sinnen, oder dem Verſtande ihren Urſprung haben. Denn es kommt, wenn man nach den Beſtimmungs- gruͤnden des Begehrens fraͤgt und ſie in einer von irgend et- was erwarteten Annehmlichkeit ſetzt, gar nicht darauf an, wo die Vorſtellung dieſes vergnuͤgenden Gegenſtandes herkomme, ſondern nur wie ſehr ſie vergnuͤgt. Wenn eine Vorſtellung, ſie mag immerhin im Verſtande ihren Sitz und Urſprung ha- ben, die Willkuͤhr nur dadurch beſtimmen kann, daß ſie ein Gefuͤhl einer Luſt im Subjecte vorausſetzet, ſo iſt, daß ſie ein Beſtimmungsgrund der Willkuͤhr ſey, gaͤnzlich von der Be- ſchaffenheit des inneren Sinnes abhaͤngig, daß dieſer nemlich dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die Vor-
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der reinen practiſchen Vernunft.
Willkuͤhr in der, aus irgend eines Gegenſtandes Wirk-
lichkeit zu empfindenden, Luſt oder Unluſt ſetzen, ſo fern
gaͤnzlich von einerley Art, daß ſie insgeſamt zum Prin-
cip der Selbſtliebe, oder eigenen Gluͤckſeligkeit gehoͤren.
Folgerung.
Alle materiale practiſche Regeln ſetzen den Be-
ſtimmungsgrund des Willens im unteren Begehrungs-
vermoͤgen, und, gaͤbe es gar keine blos formale Ge-
ſetze deſſelben, die den Willen hinreichend beſtimmeten,
ſo wuͤrde auch kein oberes Begehrungsvermoͤgen ein-
geraͤumt werden koͤnnen.
Anmerkung I.
Man muß ſich wundern, wie ſonſt ſcharfſinnige Maͤnner
einen Unterſchied zwiſchen dem unteren und oberen Begeh-
rungsvermoͤgen darin zu finden glauben koͤnnen, ob die
Vorſtellungen, die mit dem Gefuͤhl der Luſt verbunden
ſind, in den Sinnen, oder dem Verſtande ihren Urſprung
haben. Denn es kommt, wenn man nach den Beſtimmungs-
gruͤnden des Begehrens fraͤgt und ſie in einer von irgend et-
was erwarteten Annehmlichkeit ſetzt, gar nicht darauf an, wo
die Vorſtellung dieſes vergnuͤgenden Gegenſtandes herkomme,
ſondern nur wie ſehr ſie vergnuͤgt. Wenn eine Vorſtellung,
ſie mag immerhin im Verſtande ihren Sitz und Urſprung ha-
ben, die Willkuͤhr nur dadurch beſtimmen kann, daß ſie ein
Gefuͤhl einer Luſt im Subjecte vorausſetzet, ſo iſt, daß ſie ein
Beſtimmungsgrund der Willkuͤhr ſey, gaͤnzlich von der Be-
ſchaffenheit des inneren Sinnes abhaͤngig, daß dieſer nemlich
dadurch mit Annehmlichkeit afficirt werden kann. Die Vor-
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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/49>, abgerufen am 02.03.2025.
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