Die Moxa ist eine sehr zarte und weiche faserigte Materie, von aschgrauer Farbe, sehr fähig das Feuer aufzufassen, das mit einer kleinen sichtbaren Flamme almählig darin zunimt, und in langsamen Fortschrit mäßige Wärme giebt, bis alles in Asche verwandelt ist. Man verfertigt diese Materie aus den ausgetrokneten, einige Zeit in der freien Luft aufgehangenen Blättern der noch jungen Artemisiae vulgaris latifoliae. Man darf aber diese Pflanze zum Gebrauch der Moxa nicht ohne Unterschied an jedem Tage samlen, sondern nur an solchen Tagen, wenn der Himmel sie durch wohlthätigen Einflus der Ge- stirne vorzüglich beglükt und ihnen besondre Kraft giebt. Hierzu bestimmen die Sterndeu- ter die ersten fünf Tage des fünften Monats, Gonguatz go nitz bei den Japanern genant, die nach dem gregorianischen Kalender gewöhnlich in unsern Junius, selten in den Ausgang des Mai fallen. Denn in Japan fängt das Jahr mit demjenigen Neumond an, der ge- rade der mitlern Zeit zwischen dem kürzesten Tage und Frühlingsanfang am nächsten ist. Alsdenn mus diese Pflanze Frühmorgens, noch vom nächtlichen Thaue triefend, gepflükt, und denn an der Westseite des Hauses in freier Luft so lange aufgehangen werden, bis sie völlig ausgetroknet ist. Hierauf wird sie auf dem höchsten Boden im Hause aufgehoben, und je älter sie wird, desto edlere und zartere haarigte Materie kan man erwarten. Des- halb pflegen einige diese Pflanze wol zehn Jahre aufzuheben.
Wenn diese Artemisia noch in ihrer Blüthe ist, nennen sie die Japaner Futz, wenn sie aber volständig ausgewachsen ist, Jamoggi. Denn es ist auch eine von den Ei- genthümlichkeiten der Sineser sowohl als Japaner, daß jede Mannsperson ihren Namen ändert, wenn sie in ein höheres Alter trit, oder auch zu größern Würden gelangt; und eben so pflegen sie auch bei den Pflanzen und allen übrigen Dingen nach den verschiednen Graden von Volkommenheit oder dem unterschiednen Gebrauch die Namen sehr häufig ab- zuändern. Diese Gewohnheit bringt zwar in die Kentnis selbst viel Genauigkeit und Licht, aber es ist auch große Belästigung für das Gedächtnis.
Jn der Bereitung der Moxa liegt nicht viel Kunst. Die Blätter werden zuerst mit einem Mörser geschlagen, bis sie weich wie grober Flachs sind. Dann werden sie mit beiden Händen so lang herumgetrieben und gerieben, bis nur die härtern |Fibern und die häutigen Substanzen sich von den übrigen schon beim ersten Stoßen ganz zermalmten Schaalen absondern. Dann erst bekömt man die verlangte, ganz gleichartige, ausneh- mend reine und feine Materie, mit der die Natur die junge Pflanze, die den königlichen Namen Artemisia führt, vor allen andern begabt hat.
§. 4.
IV. Von der Moxa, dem vortreflichen Brenmittel,
§. 3.
Die Moxa iſt eine ſehr zarte und weiche faſerigte Materie, von aſchgrauer Farbe, ſehr faͤhig das Feuer aufzufaſſen, das mit einer kleinen ſichtbaren Flamme almaͤhlig darin zunimt, und in langſamen Fortſchrit maͤßige Waͤrme giebt, bis alles in Aſche verwandelt iſt. Man verfertigt dieſe Materie aus den ausgetrokneten, einige Zeit in der freien Luft aufgehangenen Blaͤttern der noch jungen Artemiſiae vulgaris latifoliae. Man darf aber dieſe Pflanze zum Gebrauch der Moxa nicht ohne Unterſchied an jedem Tage ſamlen, ſondern nur an ſolchen Tagen, wenn der Himmel ſie durch wohlthaͤtigen Einflus der Ge- ſtirne vorzuͤglich begluͤkt und ihnen beſondre Kraft giebt. Hierzu beſtimmen die Sterndeu- ter die erſten fuͤnf Tage des fuͤnften Monats, Gonguatz go nitz bei den Japanern genant, die nach dem gregorianiſchen Kalender gewoͤhnlich in unſern Junius, ſelten in den Ausgang des Mai fallen. Denn in Japan faͤngt das Jahr mit demjenigen Neumond an, der ge- rade der mitlern Zeit zwiſchen dem kuͤrzeſten Tage und Fruͤhlingsanfang am naͤchſten iſt. Alsdenn mus dieſe Pflanze Fruͤhmorgens, noch vom naͤchtlichen Thaue triefend, gepfluͤkt, und denn an der Weſtſeite des Hauſes in freier Luft ſo lange aufgehangen werden, bis ſie voͤllig ausgetroknet iſt. Hierauf wird ſie auf dem hoͤchſten Boden im Hauſe aufgehoben, und je aͤlter ſie wird, deſto edlere und zartere haarigte Materie kan man erwarten. Des- halb pflegen einige dieſe Pflanze wol zehn Jahre aufzuheben.
Wenn dieſe Artemiſia noch in ihrer Bluͤthe iſt, nennen ſie die Japaner Futz, wenn ſie aber volſtaͤndig ausgewachſen iſt, Jamoggi. Denn es iſt auch eine von den Ei- genthuͤmlichkeiten der Sineſer ſowohl als Japaner, daß jede Mannsperſon ihren Namen aͤndert, wenn ſie in ein hoͤheres Alter trit, oder auch zu groͤßern Wuͤrden gelangt; und eben ſo pflegen ſie auch bei den Pflanzen und allen uͤbrigen Dingen nach den verſchiednen Graden von Volkommenheit oder dem unterſchiednen Gebrauch die Namen ſehr haͤufig ab- zuaͤndern. Dieſe Gewohnheit bringt zwar in die Kentnis ſelbſt viel Genauigkeit und Licht, aber es iſt auch große Belaͤſtigung fuͤr das Gedaͤchtnis.
Jn der Bereitung der Moxa liegt nicht viel Kunſt. Die Blaͤtter werden zuerſt mit einem Moͤrſer geſchlagen, bis ſie weich wie grober Flachs ſind. Dann werden ſie mit beiden Haͤnden ſo lang herumgetrieben und gerieben, bis nur die haͤrtern |Fibern und die haͤutigen Subſtanzen ſich von den uͤbrigen ſchon beim erſten Stoßen ganz zermalmten Schaalen abſondern. Dann erſt bekoͤmt man die verlangte, ganz gleichartige, ausneh- mend reine und feine Materie, mit der die Natur die junge Pflanze, die den koͤniglichen Namen Artemiſia fuͤhrt, vor allen andern begabt hat.
§. 4.
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IV. Von der Moxa, dem vortreflichen Brenmittel,
§. 3.
Die Moxa iſt eine ſehr zarte und weiche faſerigte Materie, von aſchgrauer Farbe,
ſehr faͤhig das Feuer aufzufaſſen, das mit einer kleinen ſichtbaren Flamme almaͤhlig darin
zunimt, und in langſamen Fortſchrit maͤßige Waͤrme giebt, bis alles in Aſche verwandelt
iſt. Man verfertigt dieſe Materie aus den ausgetrokneten, einige Zeit in der freien Luft
aufgehangenen Blaͤttern der noch jungen Artemiſiae vulgaris latifoliae. Man darf
aber dieſe Pflanze zum Gebrauch der Moxa nicht ohne Unterſchied an jedem Tage ſamlen,
ſondern nur an ſolchen Tagen, wenn der Himmel ſie durch wohlthaͤtigen Einflus der Ge-
ſtirne vorzuͤglich begluͤkt und ihnen beſondre Kraft giebt. Hierzu beſtimmen die Sterndeu-
ter die erſten fuͤnf Tage des fuͤnften Monats, Gonguatz go nitz bei den Japanern genant,
die nach dem gregorianiſchen Kalender gewoͤhnlich in unſern Junius, ſelten in den Ausgang
des Mai fallen. Denn in Japan faͤngt das Jahr mit demjenigen Neumond an, der ge-
rade der mitlern Zeit zwiſchen dem kuͤrzeſten Tage und Fruͤhlingsanfang am naͤchſten iſt.
Alsdenn mus dieſe Pflanze Fruͤhmorgens, noch vom naͤchtlichen Thaue triefend, gepfluͤkt,
und denn an der Weſtſeite des Hauſes in freier Luft ſo lange aufgehangen werden, bis ſie
voͤllig ausgetroknet iſt. Hierauf wird ſie auf dem hoͤchſten Boden im Hauſe aufgehoben,
und je aͤlter ſie wird, deſto edlere und zartere haarigte Materie kan man erwarten. Des-
halb pflegen einige dieſe Pflanze wol zehn Jahre aufzuheben.
Wenn dieſe Artemiſia noch in ihrer Bluͤthe iſt, nennen ſie die Japaner Futz,
wenn ſie aber volſtaͤndig ausgewachſen iſt, Jamoggi. Denn es iſt auch eine von den Ei-
genthuͤmlichkeiten der Sineſer ſowohl als Japaner, daß jede Mannsperſon ihren Namen
aͤndert, wenn ſie in ein hoͤheres Alter trit, oder auch zu groͤßern Wuͤrden gelangt; und
eben ſo pflegen ſie auch bei den Pflanzen und allen uͤbrigen Dingen nach den verſchiednen
Graden von Volkommenheit oder dem unterſchiednen Gebrauch die Namen ſehr haͤufig ab-
zuaͤndern. Dieſe Gewohnheit bringt zwar in die Kentnis ſelbſt viel Genauigkeit und Licht,
aber es iſt auch große Belaͤſtigung fuͤr das Gedaͤchtnis.
Jn der Bereitung der Moxa liegt nicht viel Kunſt. Die Blaͤtter werden zuerſt
mit einem Moͤrſer geſchlagen, bis ſie weich wie grober Flachs ſind. Dann werden ſie
mit beiden Haͤnden ſo lang herumgetrieben und gerieben, bis nur die haͤrtern |Fibern und
die haͤutigen Subſtanzen ſich von den uͤbrigen ſchon beim erſten Stoßen ganz zermalmten
Schaalen abſondern. Dann erſt bekoͤmt man die verlangte, ganz gleichartige, ausneh-
mend reine und feine Materie, mit der die Natur die junge Pflanze, die den koͤniglichen
Namen Artemiſia fuͤhrt, vor allen andern begabt hat.
§. 4.
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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/490>, abgerufen am 21.12.2024.
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