Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.Nacherinnerungen des Herausgebers. gründet sich auf keine Kentnis des menschlichen Körpers *), und der Ursachen, aus welchemseine Uebel entstanden sind, und ist also unstreitig eine sehr unvolkommene Empirie. Da Asien fast in allen seinen Theilen despotisch regiert wird, so kan seine Gesezgebung auch nicht vorzüglich seyn. Es ist wahr, daß der itzige europäische Proces oft Ungerechtigkeiten, und noch mehr, auch bei dem legalen Verfahren (wie K. sagt) Unterdrückung hervorbringt. Der asiatische ist kürzer, aber gewis nicht weniger unterdrückend, da er fast allein auf der Wilkühr des Richters in der ersten Jnstanz beruhet, und entweder gar keine oder doch sehr wenig geordnete Appellation zuläßt. Die Japanischen Gesetze besonders sind mit der un- menschlichsten Grausamkeit abgefaßt. Sie kehren den Hauptgrund einer weisen Gesezge- bung um, da sie nicht das Verbrechen, sondern blos die Uebertretung des kaiserlichen Ge- bots zum einzigen Maasstab der Strafe machen, und darauf die Gleichheit aller Verge- hungen gründen. Dies ist der wahre Geist der abscheulichen Despotie. Der Regent verbietet hier nicht, was dem Wohl des Staats zuwider, und daher ein Verbrechen ist, sondern Verbrechen wird nur, was ihm gefält so zu nennen. Kämpfer würde gewis den Widerspruch zwischen seinem Lobe und seiner Beschreibung der Japanischen Gesetze selbst bemerkt haben, wenn er nicht durch die Lust, über die Fehler unsrer Justiz zu dekla- miren, wäre hingerissen worden. Bei der Religion ist die Untersuchung schwerer. Die Völker des östlichen Asiens sind sehr frühe, bei den ersten großen und starken Jdeen, die Menschenverstand und das Leben in schöner Natur eingeben, stehn geblieben; ihre Religion ist edel und erhaben, wenig mit Spekulationen und Spizfindigkeiten beladen, dem Genus des Lebens nicht sehr hinderlich (man überläßt es nur einzelnen Heiligen, durch Entsagung desselben sich ganz dem großen Nichts zu nähern) und fast immer duldend und verträglich gegen Andersdenkende. Dies sind gewis große Vorzüge einer Religion, und Kämpfer hat wenigstens darin Recht, wenn er die Japaner entschuldigt, daß sie ihre uralte, ihnen so ehrwürdige Religion nicht mit einer vertauschen wolten, die ihnen unbekante Menschen aus einer fremden Welt brachten, und die, wenigstens beim ersten Anblik, in ihren Lehren so viel Auffallendes und Unbegreifliches hat. II. Die Japanische Nation befindet sich seit der lezten Revolution in einem ausneh- mend glüklichen Zustande. Es ist schwer, von der Glükseligkeit der Nationen, und besonders so entfernter, erzählt, *) [Spaltenumbruch]
Es ist eine scharfsinnige und wahre Be- merkung des Hrn. von Pauw, daß die geschwinde[Spaltenumbruch] Verwesung in den heißen Länderu das Studium der Anatomie hindre. Zweiter Band. G g g
Nacherinnerungen des Herausgebers. gruͤndet ſich auf keine Kentnis des menſchlichen Koͤrpers *), und der Urſachen, aus welchemſeine Uebel entſtanden ſind, und iſt alſo unſtreitig eine ſehr unvolkommene Empirie. Da Aſien faſt in allen ſeinen Theilen deſpotiſch regiert wird, ſo kan ſeine Geſezgebung auch nicht vorzuͤglich ſeyn. Es iſt wahr, daß der itzige europaͤiſche Proces oft Ungerechtigkeiten, und noch mehr, auch bei dem legalen Verfahren (wie K. ſagt) Unterdruͤckung hervorbringt. Der aſiatiſche iſt kuͤrzer, aber gewis nicht weniger unterdruͤckend, da er faſt allein auf der Wilkuͤhr des Richters in der erſten Jnſtanz beruhet, und entweder gar keine oder doch ſehr wenig geordnete Appellation zulaͤßt. Die Japaniſchen Geſetze beſonders ſind mit der un- menſchlichſten Grauſamkeit abgefaßt. Sie kehren den Hauptgrund einer weiſen Geſezge- bung um, da ſie nicht das Verbrechen, ſondern blos die Uebertretung des kaiſerlichen Ge- bots zum einzigen Maasſtab der Strafe machen, und darauf die Gleichheit aller Verge- hungen gruͤnden. Dies iſt der wahre Geiſt der abſcheulichen Deſpotie. Der Regent verbietet hier nicht, was dem Wohl des Staats zuwider, und daher ein Verbrechen iſt, ſondern Verbrechen wird nur, was ihm gefaͤlt ſo zu nennen. Kaͤmpfer wuͤrde gewis den Widerſpruch zwiſchen ſeinem Lobe und ſeiner Beſchreibung der Japaniſchen Geſetze ſelbſt bemerkt haben, wenn er nicht durch die Luſt, uͤber die Fehler unſrer Juſtiz zu dekla- miren, waͤre hingeriſſen worden. Bei der Religion iſt die Unterſuchung ſchwerer. Die Voͤlker des oͤſtlichen Aſiens ſind ſehr fruͤhe, bei den erſten großen und ſtarken Jdeen, die Menſchenverſtand und das Leben in ſchoͤner Natur eingeben, ſtehn geblieben; ihre Religion iſt edel und erhaben, wenig mit Spekulationen und Spizfindigkeiten beladen, dem Genus des Lebens nicht ſehr hinderlich (man uͤberlaͤßt es nur einzelnen Heiligen, durch Entſagung deſſelben ſich ganz dem großen Nichts zu naͤhern) und faſt immer duldend und vertraͤglich gegen Andersdenkende. Dies ſind gewis große Vorzuͤge einer Religion, und Kaͤmpfer hat wenigſtens darin Recht, wenn er die Japaner entſchuldigt, daß ſie ihre uralte, ihnen ſo ehrwuͤrdige Religion nicht mit einer vertauſchen wolten, die ihnen unbekante Menſchen aus einer fremden Welt brachten, und die, wenigſtens beim erſten Anblik, in ihren Lehren ſo viel Auffallendes und Unbegreifliches hat. II. Die Japaniſche Nation befindet ſich ſeit der lezten Revolution in einem ausneh- mend gluͤklichen Zuſtande. Es iſt ſchwer, von der Gluͤkſeligkeit der Nationen, und beſonders ſo entfernter, erzaͤhlt, *) [Spaltenumbruch]
Es iſt eine ſcharfſinnige und wahre Be- merkung des Hrn. von Pauw, daß die geſchwinde[Spaltenumbruch] Verweſung in den heißen Laͤnderu das Studium der Anatomie hindre. Zweiter Band. G g g
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gruͤndet ſich auf keine Kentnis des menſchlichen Koͤrpers *), und der Urſachen, aus welchem
ſeine Uebel entſtanden ſind, und iſt alſo unſtreitig eine ſehr unvolkommene Empirie. Da
Aſien faſt in allen ſeinen Theilen deſpotiſch regiert wird, ſo kan ſeine Geſezgebung auch nicht
vorzuͤglich ſeyn. Es iſt wahr, daß der itzige europaͤiſche Proces oft Ungerechtigkeiten, und
noch mehr, auch bei dem legalen Verfahren (wie K. ſagt) Unterdruͤckung hervorbringt.
Der aſiatiſche iſt kuͤrzer, aber gewis nicht weniger unterdruͤckend, da er faſt allein auf der
Wilkuͤhr des Richters in der erſten Jnſtanz beruhet, und entweder gar keine oder doch ſehr
wenig geordnete Appellation zulaͤßt. Die Japaniſchen Geſetze beſonders ſind mit der un-
menſchlichſten Grauſamkeit abgefaßt. Sie kehren den Hauptgrund einer weiſen Geſezge-
bung um, da ſie nicht das Verbrechen, ſondern blos die Uebertretung des kaiſerlichen Ge-
bots zum einzigen Maasſtab der Strafe machen, und darauf die Gleichheit aller Verge-
hungen gruͤnden. Dies iſt der wahre Geiſt der abſcheulichen Deſpotie. Der Regent
verbietet hier nicht, was dem Wohl des Staats zuwider, und daher ein Verbrechen
iſt, ſondern Verbrechen wird nur, was ihm gefaͤlt ſo zu nennen. Kaͤmpfer wuͤrde gewis
den Widerſpruch zwiſchen ſeinem Lobe und ſeiner Beſchreibung der Japaniſchen Geſetze
ſelbſt bemerkt haben, wenn er nicht durch die Luſt, uͤber die Fehler unſrer Juſtiz zu dekla-
miren, waͤre hingeriſſen worden. Bei der Religion iſt die Unterſuchung ſchwerer. Die
Voͤlker des oͤſtlichen Aſiens ſind ſehr fruͤhe, bei den erſten großen und ſtarken Jdeen, die
Menſchenverſtand und das Leben in ſchoͤner Natur eingeben, ſtehn geblieben; ihre Religion
iſt edel und erhaben, wenig mit Spekulationen und Spizfindigkeiten beladen, dem Genus
des Lebens nicht ſehr hinderlich (man uͤberlaͤßt es nur einzelnen Heiligen, durch Entſagung
deſſelben ſich ganz dem großen Nichts zu naͤhern) und faſt immer duldend und vertraͤglich
gegen Andersdenkende. Dies ſind gewis große Vorzuͤge einer Religion, und Kaͤmpfer hat
wenigſtens darin Recht, wenn er die Japaner entſchuldigt, daß ſie ihre uralte, ihnen ſo
ehrwuͤrdige Religion nicht mit einer vertauſchen wolten, die ihnen unbekante Menſchen aus
einer fremden Welt brachten, und die, wenigſtens beim erſten Anblik, in ihren Lehren ſo
viel Auffallendes und Unbegreifliches hat.
II.
Die Japaniſche Nation befindet ſich ſeit der lezten Revolution in einem ausneh-
mend gluͤklichen Zuſtande.
Es iſt ſchwer, von der Gluͤkſeligkeit der Nationen, und beſonders ſo entfernter,
zu reden. Jndes, duͤnkt mich, die Thatſachen, die uns Kaͤmpfer in ſeinem ganzen Werke
erzaͤhlt,
*)
Es iſt eine ſcharfſinnige und wahre Be-
merkung des Hrn. von Pauw, daß die geſchwinde
Verweſung in den heißen Laͤnderu das Studium
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