Ueber so manche theils dunkle, theils erlauchte Grössen ragt einer um eines Kopfes Länge hervor ein Mann, für den auch der moderne Spanier, der für Calderon z. B. nur eine pa- triotische Verehrung aus der Ferne übrig hat, warm werden kann, dessen Worte wie die eines Lebendigen klingen 1), Francisco de Quevedo y Villegas. Es sollte scheinen, als sei im siebzehnten Jahrhundert jene Stählung des Gehirns, welche den Staatsmann und Feldherrn, den Denker und Entdecker macht, jenseits der Pyrenäen abhanden gekommen. Quevedo, wie er gern sich rühmte, ein Sohn der Berge (von Burgos, geb. 1580), ist eine Instanz gegen diese Annahme. Er war vielleicht der erste Kopf seines Zeitalters, obwol er mitten in den trüben Wirbeln des Zeitstromes schwamm und von dessen Sittenverfall und Ge- schmacklosigkeit nicht unberührt blieb. Im Herzen den alten nationalen Idealen zugewandt, war sein Verstand doch ganz zu Hause in der Wirklichkeit jeder Art und Rangordnung, seine Phantasie oft "gebändigt vom Gemeinen". Mit der einen Hand streute er grosse, zuweilen noch nie gehörte Wahrheiten aus, mit der andern malte er (mit einer Palette die Zola neidisch machen könnte) die schmutzige Hefe der spanischen Gesellschaft, die trüben Gährungen und wilden Stürme seines unbändigen Herzens.
Er hat sich selbst gezeichnet: "Ein Ehrenmann, zum Schlim- men geboren; ein Edelmann, um ein Mensch zu werden von viel- fältiger Kraft und ebensoviel Schwachheiten; von gutem Verstand und schwachem Gedächtniss; kurz von Gesicht und Erfolg; dem Teufel überantwortet, der Welt verpfändet, dem Fleisch ergeben; offen von Auge und Gewissen; schwarz von Haaren und
1) Im Jahre 1870 erschien: Al Rey electo. 191 pensamientos maximas y con- sejos de Quevedo que debe tener muy presente para su gobierno el Duque de Aosta.
Fünftes Buch.
Berühmtheiten und Dunkelmänner.
Quevedo.
Ueber so manche theils dunkle, theils erlauchte Grössen ragt einer um eines Kopfes Länge hervor ein Mann, für den auch der moderne Spanier, der für Calderon z. B. nur eine pa- triotische Verehrung aus der Ferne übrig hat, warm werden kann, dessen Worte wie die eines Lebendigen klingen 1), Francisco de Quevedo y Villegas. Es sollte scheinen, als sei im siebzehnten Jahrhundert jene Stählung des Gehirns, welche den Staatsmann und Feldherrn, den Denker und Entdecker macht, jenseits der Pyrenäen abhanden gekommen. Quevedo, wie er gern sich rühmte, ein Sohn der Berge (von Burgos, geb. 1580), ist eine Instanz gegen diese Annahme. Er war vielleicht der erste Kopf seines Zeitalters, obwol er mitten in den trüben Wirbeln des Zeitstromes schwamm und von dessen Sittenverfall und Ge- schmacklosigkeit nicht unberührt blieb. Im Herzen den alten nationalen Idealen zugewandt, war sein Verstand doch ganz zu Hause in der Wirklichkeit jeder Art und Rangordnung, seine Phantasie oft „gebändigt vom Gemeinen“. Mit der einen Hand streute er grosse, zuweilen noch nie gehörte Wahrheiten aus, mit der andern malte er (mit einer Palette die Zola neidisch machen könnte) die schmutzige Hefe der spanischen Gesellschaft, die trüben Gährungen und wilden Stürme seines unbändigen Herzens.
Er hat sich selbst gezeichnet: „Ein Ehrenmann, zum Schlim- men geboren; ein Edelmann, um ein Mensch zu werden von viel- fältiger Kraft und ebensoviel Schwachheiten; von gutem Verstand und schwachem Gedächtniss; kurz von Gesicht und Erfolg; dem Teufel überantwortet, der Welt verpfändet, dem Fleisch ergeben; offen von Auge und Gewissen; schwarz von Haaren und
1) Im Jahre 1870 erschien: Al Rey electo. 191 pensamientos máximas y con- sejos de Quevedo que debe tener muy presente para su gobierno el Duque de Aosta.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0062"n="42"/><fwplace="top"type="header">Fünftes Buch.</fw><lb/><divn="2"><head><hirendition="#b">Berühmtheiten und Dunkelmänner.</hi></head><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Quevedo</hi>.</head><lb/><p>Ueber so manche theils dunkle, theils erlauchte Grössen<lb/>
ragt einer um eines Kopfes Länge hervor ein Mann, für den<lb/>
auch der moderne Spanier, der für Calderon z. B. nur eine pa-<lb/>
triotische Verehrung aus der Ferne übrig hat, warm werden kann,<lb/>
dessen Worte wie die eines Lebendigen klingen <noteplace="foot"n="1)">Im Jahre 1870 erschien: Al Rey electo. 191 pensamientos máximas y con-<lb/>
sejos de Quevedo que debe tener muy presente para su gobierno el Duque de Aosta.</note>, Francisco de<lb/>
Quevedo y Villegas. Es sollte scheinen, als sei im siebzehnten<lb/>
Jahrhundert jene Stählung des Gehirns, welche den Staatsmann<lb/>
und Feldherrn, den Denker und Entdecker macht, jenseits der<lb/>
Pyrenäen abhanden gekommen. Quevedo, wie er gern sich<lb/>
rühmte, ein Sohn der Berge (von Burgos, geb. 1580), ist eine<lb/>
Instanz gegen diese Annahme. Er war vielleicht der erste Kopf<lb/>
seines Zeitalters, obwol er mitten in den trüben Wirbeln des<lb/>
Zeitstromes schwamm und von dessen Sittenverfall und Ge-<lb/>
schmacklosigkeit nicht unberührt blieb. Im Herzen den alten<lb/>
nationalen Idealen zugewandt, war sein Verstand doch ganz zu<lb/>
Hause in der Wirklichkeit jeder Art und Rangordnung, seine<lb/>
Phantasie oft „gebändigt vom Gemeinen“. Mit der einen Hand<lb/>
streute er grosse, zuweilen noch nie gehörte Wahrheiten aus, mit<lb/>
der andern malte er (mit einer Palette die Zola neidisch machen<lb/>
könnte) die schmutzige Hefe der spanischen Gesellschaft, die<lb/>
trüben Gährungen und wilden Stürme seines unbändigen Herzens.</p><lb/><p>Er hat sich selbst gezeichnet: „Ein Ehrenmann, zum Schlim-<lb/>
men geboren; ein Edelmann, um ein Mensch zu werden von viel-<lb/>
fältiger Kraft und ebensoviel Schwachheiten; von gutem Verstand<lb/>
und schwachem Gedächtniss; kurz von Gesicht und Erfolg; dem<lb/>
Teufel überantwortet, der Welt verpfändet, dem Fleisch ergeben;<lb/>
offen von Auge und Gewissen; schwarz von Haaren und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[42/0062]
Fünftes Buch.
Berühmtheiten und Dunkelmänner.
Quevedo.
Ueber so manche theils dunkle, theils erlauchte Grössen
ragt einer um eines Kopfes Länge hervor ein Mann, für den
auch der moderne Spanier, der für Calderon z. B. nur eine pa-
triotische Verehrung aus der Ferne übrig hat, warm werden kann,
dessen Worte wie die eines Lebendigen klingen 1), Francisco de
Quevedo y Villegas. Es sollte scheinen, als sei im siebzehnten
Jahrhundert jene Stählung des Gehirns, welche den Staatsmann
und Feldherrn, den Denker und Entdecker macht, jenseits der
Pyrenäen abhanden gekommen. Quevedo, wie er gern sich
rühmte, ein Sohn der Berge (von Burgos, geb. 1580), ist eine
Instanz gegen diese Annahme. Er war vielleicht der erste Kopf
seines Zeitalters, obwol er mitten in den trüben Wirbeln des
Zeitstromes schwamm und von dessen Sittenverfall und Ge-
schmacklosigkeit nicht unberührt blieb. Im Herzen den alten
nationalen Idealen zugewandt, war sein Verstand doch ganz zu
Hause in der Wirklichkeit jeder Art und Rangordnung, seine
Phantasie oft „gebändigt vom Gemeinen“. Mit der einen Hand
streute er grosse, zuweilen noch nie gehörte Wahrheiten aus, mit
der andern malte er (mit einer Palette die Zola neidisch machen
könnte) die schmutzige Hefe der spanischen Gesellschaft, die
trüben Gährungen und wilden Stürme seines unbändigen Herzens.
Er hat sich selbst gezeichnet: „Ein Ehrenmann, zum Schlim-
men geboren; ein Edelmann, um ein Mensch zu werden von viel-
fältiger Kraft und ebensoviel Schwachheiten; von gutem Verstand
und schwachem Gedächtniss; kurz von Gesicht und Erfolg; dem
Teufel überantwortet, der Welt verpfändet, dem Fleisch ergeben;
offen von Auge und Gewissen; schwarz von Haaren und
1) Im Jahre 1870 erschien: Al Rey electo. 191 pensamientos máximas y con-
sejos de Quevedo que debe tener muy presente para su gobierno el Duque de Aosta.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/62>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.