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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Zweites Buch. Erster Abschn. III. Die jurist. Technik. A. Im allgem.
gang von einem Vermögen in ein anderes Vermögen (Ver-
ringerung des einen und Vermehrung des andern dem Werth
nach) zur Voraussetzung hat. Ein anderes Beispiel gewährt die
Vermögensfähigkeit der Hauskinder gegenüber der patria pote-
stas
. Sie fiel historisch unter den Gesichtspunkt einer Aus-
nahme; der erste Fall derselben (peculium castrense) enthielt
eine so bedeutende Abweichung vom bestehenden Recht, wie
kaum ein anderes Beispiel zu finden sein dürfte. Im justiniani-
schen Recht aber ist die Ausnahme Regel und die Regel Aus-
nahme geworden, und das dogmatische Resultat läßt sich hier in
das Princip fassen: die Kinder sind vermögensfähig und mit
Ausnahme des Vaters allen Personen gegenüber erwerbfähig.

3. Die juristische Construction.

Die naturhistorische Anschauungsweise des Rechts -- der juri-
stische Körper -- allgemeine Schilderung desselben -- Gewinnung
desselben durch die juristische Construction -- die drei Gesetze der-
selben (positives, logisches, ästhetisches) -- technischer Werth der
naturhistorischen Methode.

XLI. Unsere heutige Jurisprudenz hat zwei Lieblingsaus-
drücke -- beide erst seit etwa einem Menschenalter aufgebracht,
aber dann schnell in Gebrauch gekommen, beide für sie gleich
charakteristisch, der eine für ihre Richtung in der Rechts-
geschichte, der andere für ihre Richtung in der Dogmatik -- die
Ausdrücke organisch und juristische Construction. Der
ganze Umschwung, der in unserer Wissenschaft seit den letzten
fünfzig Jahren eingetreten, läßt sich mit diesen beiden Worten
angeben; sie dürfen die Losungsworte der Jurisprudenz des
neunzehnten Jahrhunderts genannt werden.

Es geht aber mit diesen Losungsworten, wie mit so vielen
anderen, Jeder gebraucht sie, ohne sich über den damit zu ver-
bindenden Sinn genaue Rechenschaft zu geben, und hinsichtlich
desjenigen, das uns hier allein interessirt, ist dies auch kaum

Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem.
gang von einem Vermögen in ein anderes Vermögen (Ver-
ringerung des einen und Vermehrung des andern dem Werth
nach) zur Vorausſetzung hat. Ein anderes Beiſpiel gewährt die
Vermögensfähigkeit der Hauskinder gegenüber der patria pote-
stas
. Sie fiel hiſtoriſch unter den Geſichtspunkt einer Aus-
nahme; der erſte Fall derſelben (peculium castrense) enthielt
eine ſo bedeutende Abweichung vom beſtehenden Recht, wie
kaum ein anderes Beiſpiel zu finden ſein dürfte. Im juſtiniani-
ſchen Recht aber iſt die Ausnahme Regel und die Regel Aus-
nahme geworden, und das dogmatiſche Reſultat läßt ſich hier in
das Princip faſſen: die Kinder ſind vermögensfähig und mit
Ausnahme des Vaters allen Perſonen gegenüber erwerbfähig.

3. Die juriſtiſche Conſtruction.

Die naturhiſtoriſche Anſchauungsweiſe des Rechts — der juri-
ſtiſche Körper — allgemeine Schilderung deſſelben — Gewinnung
deſſelben durch die juriſtiſche Conſtruction — die drei Geſetze der-
ſelben (poſitives, logiſches, äſthetiſches) — techniſcher Werth der
naturhiſtoriſchen Methode.

XLI. Unſere heutige Jurisprudenz hat zwei Lieblingsaus-
drücke — beide erſt ſeit etwa einem Menſchenalter aufgebracht,
aber dann ſchnell in Gebrauch gekommen, beide für ſie gleich
charakteriſtiſch, der eine für ihre Richtung in der Rechts-
geſchichte, der andere für ihre Richtung in der Dogmatik — die
Ausdrücke organiſch und juriſtiſche Conſtruction. Der
ganze Umſchwung, der in unſerer Wiſſenſchaft ſeit den letzten
fünfzig Jahren eingetreten, läßt ſich mit dieſen beiden Worten
angeben; ſie dürfen die Loſungsworte der Jurisprudenz des
neunzehnten Jahrhunderts genannt werden.

Es geht aber mit dieſen Loſungsworten, wie mit ſo vielen
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[384/0090] Zweites Buch. Erſter Abſchn. III. Die juriſt. Technik. A. Im allgem. gang von einem Vermögen in ein anderes Vermögen (Ver- ringerung des einen und Vermehrung des andern dem Werth nach) zur Vorausſetzung hat. Ein anderes Beiſpiel gewährt die Vermögensfähigkeit der Hauskinder gegenüber der patria pote- stas. Sie fiel hiſtoriſch unter den Geſichtspunkt einer Aus- nahme; der erſte Fall derſelben (peculium castrense) enthielt eine ſo bedeutende Abweichung vom beſtehenden Recht, wie kaum ein anderes Beiſpiel zu finden ſein dürfte. Im juſtiniani- ſchen Recht aber iſt die Ausnahme Regel und die Regel Aus- nahme geworden, und das dogmatiſche Reſultat läßt ſich hier in das Princip faſſen: die Kinder ſind vermögensfähig und mit Ausnahme des Vaters allen Perſonen gegenüber erwerbfähig. 3. Die juriſtiſche Conſtruction. Die naturhiſtoriſche Anſchauungsweiſe des Rechts — der juri- ſtiſche Körper — allgemeine Schilderung deſſelben — Gewinnung deſſelben durch die juriſtiſche Conſtruction — die drei Geſetze der- ſelben (poſitives, logiſches, äſthetiſches) — techniſcher Werth der naturhiſtoriſchen Methode. XLI. Unſere heutige Jurisprudenz hat zwei Lieblingsaus- drücke — beide erſt ſeit etwa einem Menſchenalter aufgebracht, aber dann ſchnell in Gebrauch gekommen, beide für ſie gleich charakteriſtiſch, der eine für ihre Richtung in der Rechts- geſchichte, der andere für ihre Richtung in der Dogmatik — die Ausdrücke organiſch und juriſtiſche Conſtruction. Der ganze Umſchwung, der in unſerer Wiſſenſchaft ſeit den letzten fünfzig Jahren eingetreten, läßt ſich mit dieſen beiden Worten angeben; ſie dürfen die Loſungsworte der Jurisprudenz des neunzehnten Jahrhunderts genannt werden. Es geht aber mit dieſen Loſungsworten, wie mit ſo vielen anderen, Jeder gebraucht ſie, ohne ſich über den damit zu ver- bindenden Sinn genaue Rechenſchaft zu geben, und hinſichtlich desjenigen, das uns hier allein intereſſirt, iſt dies auch kaum

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/90>, abgerufen am 21.11.2024.