Um das Recht auf den einzelnen Fall richtig anzuwenden, muß man es zunächst in seinem abstracten Inhalt richtig erken- nen, es sich aneignen, kurz es geistig beherrschen. Diese Er- kenntniß und subjective Aneignung ist theils Sache des Ver- standes, theils Sache des Gedächtnisses, und je nach Beschaf- fenheit der Rechte ist das Maß des erforderlichen Aufwandes der einen oder andern Geisteskraft ein verschiedenes. Es gibt Rechte, die mehr den Verstand als das Gedächtniß, andere, die mehr das Gedächtniß als den Verstand in Anspruch nehmen, Rechte ferner, bei denen die Arbeit für beide eine relativ leichte, andere, bei denen sie eine ungemein schwierige ist. Im allge- meinen wird sich die Anstrengung des Gedächtnisses nach dem quantitativen, die des Verstandes nach dem qualitativen Ver- halten der Rechte bestimmen.
Die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der subjectiven Aneignung des Rechts hat aber nicht bloß ein subjectives Interesse, sondern mit letzterem trifft hier ein objectives d. h. das der Rechtspflege genau zusammen. Je mehr das Recht dem, der es anzuwenden und mithin zu erlernen hat, durch seine Weit- schichtigkeit die Uebersicht, durch seine Dunkelheit und Unbe- stimmtheit das richtige Verständniß erschwert, um so unvoll- kommener wird, wenn wir im übrigen auf Seiten des Sub- jects dasselbe Maß der Kräfte und der Anspannung derselben annehmen, das Recht selbst zur Anwendung kommen. Das In- teresse des Richters und des Verkehrs gehen hier also Hand in Hand, und es ist mithin für letzteren eine Frage von äußerster Wichtigkeit, ob und wie es sich erreichen läßt, daß die subjective Aneignung des Rechts ersterem möglichst erleichtert wird, in der Weise daß auch bei der reichsten extensiven und intensiven Ent- wicklung des Rechts das gewöhnliche Maß von Kraft und Fleiß zur Lösung dieser Aufgabe genüge.
Das Mittel zur Erreichung dieses Zwecks besteht in der
II. Die Aufgabe derſelben. §. 38.
I.Die Vereinfachung des Rechts.
Um das Recht auf den einzelnen Fall richtig anzuwenden, muß man es zunächſt in ſeinem abſtracten Inhalt richtig erken- nen, es ſich aneignen, kurz es geiſtig beherrſchen. Dieſe Er- kenntniß und ſubjective Aneignung iſt theils Sache des Ver- ſtandes, theils Sache des Gedächtniſſes, und je nach Beſchaf- fenheit der Rechte iſt das Maß des erforderlichen Aufwandes der einen oder andern Geiſteskraft ein verſchiedenes. Es gibt Rechte, die mehr den Verſtand als das Gedächtniß, andere, die mehr das Gedächtniß als den Verſtand in Anſpruch nehmen, Rechte ferner, bei denen die Arbeit für beide eine relativ leichte, andere, bei denen ſie eine ungemein ſchwierige iſt. Im allge- meinen wird ſich die Anſtrengung des Gedächtniſſes nach dem quantitativen, die des Verſtandes nach dem qualitativen Ver- halten der Rechte beſtimmen.
Die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der ſubjectiven Aneignung des Rechts hat aber nicht bloß ein ſubjectives Intereſſe, ſondern mit letzterem trifft hier ein objectives d. h. das der Rechtspflege genau zuſammen. Je mehr das Recht dem, der es anzuwenden und mithin zu erlernen hat, durch ſeine Weit- ſchichtigkeit die Ueberſicht, durch ſeine Dunkelheit und Unbe- ſtimmtheit das richtige Verſtändniß erſchwert, um ſo unvoll- kommener wird, wenn wir im übrigen auf Seiten des Sub- jects daſſelbe Maß der Kräfte und der Anſpannung derſelben annehmen, das Recht ſelbſt zur Anwendung kommen. Das In- tereſſe des Richters und des Verkehrs gehen hier alſo Hand in Hand, und es iſt mithin für letzteren eine Frage von äußerſter Wichtigkeit, ob und wie es ſich erreichen läßt, daß die ſubjective Aneignung des Rechts erſterem möglichſt erleichtert wird, in der Weiſe daß auch bei der reichſten extenſiven und intenſiven Ent- wicklung des Rechts das gewöhnliche Maß von Kraft und Fleiß zur Löſung dieſer Aufgabe genüge.
Das Mittel zur Erreichung dieſes Zwecks beſteht in der
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II. Die Aufgabe derſelben. §. 38.
I. Die Vereinfachung des Rechts.
Um das Recht auf den einzelnen Fall richtig anzuwenden,
muß man es zunächſt in ſeinem abſtracten Inhalt richtig erken-
nen, es ſich aneignen, kurz es geiſtig beherrſchen. Dieſe Er-
kenntniß und ſubjective Aneignung iſt theils Sache des Ver-
ſtandes, theils Sache des Gedächtniſſes, und je nach Beſchaf-
fenheit der Rechte iſt das Maß des erforderlichen Aufwandes
der einen oder andern Geiſteskraft ein verſchiedenes. Es gibt
Rechte, die mehr den Verſtand als das Gedächtniß, andere,
die mehr das Gedächtniß als den Verſtand in Anſpruch nehmen,
Rechte ferner, bei denen die Arbeit für beide eine relativ leichte,
andere, bei denen ſie eine ungemein ſchwierige iſt. Im allge-
meinen wird ſich die Anſtrengung des Gedächtniſſes nach dem
quantitativen, die des Verſtandes nach dem qualitativen Ver-
halten der Rechte beſtimmen.
Die Leichtigkeit oder Schwierigkeit der ſubjectiven Aneignung
des Rechts hat aber nicht bloß ein ſubjectives Intereſſe,
ſondern mit letzterem trifft hier ein objectives d. h. das der
Rechtspflege genau zuſammen. Je mehr das Recht dem, der es
anzuwenden und mithin zu erlernen hat, durch ſeine Weit-
ſchichtigkeit die Ueberſicht, durch ſeine Dunkelheit und Unbe-
ſtimmtheit das richtige Verſtändniß erſchwert, um ſo unvoll-
kommener wird, wenn wir im übrigen auf Seiten des Sub-
jects daſſelbe Maß der Kräfte und der Anſpannung derſelben
annehmen, das Recht ſelbſt zur Anwendung kommen. Das In-
tereſſe des Richters und des Verkehrs gehen hier alſo Hand in
Hand, und es iſt mithin für letzteren eine Frage von äußerſter
Wichtigkeit, ob und wie es ſich erreichen läßt, daß die ſubjective
Aneignung des Rechts erſterem möglichſt erleichtert wird, in der
Weiſe daß auch bei der reichſten extenſiven und intenſiven Ent-
wicklung des Rechts das gewöhnliche Maß von Kraft und Fleiß
zur Löſung dieſer Aufgabe genüge.
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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/47>, abgerufen am 22.12.2024.
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