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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
fen, daß es, weil den Charakter der alten Zeit verläugnend,
neuern Ursprungs sein muß.

Wir gehen jetzt zu unserer eigentlichen Aufgabe über.

Der formelle Charakter unseres zweiten Elements
der Rechtsgeschäfte beruhte auf zweierlei: (1) es waren be-
stimmte
Worte, und dieselben mußten (2) gesprochen wer-
den. Unterziehen wir diese beiden Momente einer nähern Be-
trachtung.

1. Moment der Bestimmtheit. 794)

Es waren also bestimmte, d. h. ein für alle Mal vorge-
schriebene Worte oder Sätze, deren sich die Partheien für die
verschiedenen Rechtshandlungen, sowohl die des Processes, als
des Verkehrs zu bedienen hätten. Diese Bestimmtheit aber
war graduell verschieden, bei der einen Handlung war die Par-
thei mehr, bei der andern weniger eingeengt, hier war es eine
längere Formel, eine ganze Litanei, die sie nach zu beten hatte,
dort nur ein einzelnes Schlagwort, namentlich der das Geschäft
bezeichnende Kunstausdruck, mit dem sie den concreten Inhalt
desselben in Verbindung zu bringen hatte -- gewissermaßen eine

794) Verba certa, solennia (d. i. sollo = toto anno = alljährlich
wiederkehrende) legitima (streng genommen die einer lex entnommenen, allein
der Sprachgebrauch ist ein weiterer). Ulp. IX, 1. XIX, 3. Gaj. I, 112.
IV, 29. Gell. XI, 1. Briss. I c. 181.
Bei Nichtjuristen andere Ausdrücke
z. B. carmen, solenne carmen, certa nuncupatio verborum und auch
formula in Anwendung auf Rechtsgeschäfte (bei Juristen vorherrschend von der
Formula des Formularprocesses gebraucht, bei Gaj. IV, 24 forma für eine
legis actio, s. auch L. 2 §. 7, 12 de orig. jur. 1. 2). Der Ausdruck: con-
cepta verba
(z. B. beim Eid: Briss. VIII, 10, und Formularproceß) weist
auf die Abfassung im einzelnen Fall hin, allein wie die conceptae feriae
(im Gegensatz der stativae, die ipso jure an bestimmte Tage geknüpft wa-
ren) dem Herkommen nach zum Theil immer auf gewisse Tage gelegt wurden,
also stehend waren (Macrob. Sat. I, 16), ungeachtet sie ihrem Begriff nach
lediglich auf der freien Bestimmung des Magistrats beruhten, so auch viel-
fach die concepta verba.
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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47.
fen, daß es, weil den Charakter der alten Zeit verläugnend,
neuern Urſprungs ſein muß.

Wir gehen jetzt zu unſerer eigentlichen Aufgabe über.

Der formelle Charakter unſeres zweiten Elements
der Rechtsgeſchäfte beruhte auf zweierlei: (1) es waren be-
ſtimmte
Worte, und dieſelben mußten (2) geſprochen wer-
den. Unterziehen wir dieſe beiden Momente einer nähern Be-
trachtung.

1. Moment der Beſtimmtheit. 794)

Es waren alſo beſtimmte, d. h. ein für alle Mal vorge-
ſchriebene Worte oder Sätze, deren ſich die Partheien für die
verſchiedenen Rechtshandlungen, ſowohl die des Proceſſes, als
des Verkehrs zu bedienen hätten. Dieſe Beſtimmtheit aber
war graduell verſchieden, bei der einen Handlung war die Par-
thei mehr, bei der andern weniger eingeengt, hier war es eine
längere Formel, eine ganze Litanei, die ſie nach zu beten hatte,
dort nur ein einzelnes Schlagwort, namentlich der das Geſchäft
bezeichnende Kunſtausdruck, mit dem ſie den concreten Inhalt
deſſelben in Verbindung zu bringen hatte — gewiſſermaßen eine

794) Verba certa, solennia (d. i. sollo = toto anno = alljährlich
wiederkehrende) legitima (ſtreng genommen die einer lex entnommenen, allein
der Sprachgebrauch iſt ein weiterer). Ulp. IX, 1. XIX, 3. Gaj. I, 112.
IV, 29. Gell. XI, 1. Briss. I c. 181.
Bei Nichtjuriſten andere Ausdrücke
z. B. carmen, solenne carmen, certa nuncupatio verborum und auch
formula in Anwendung auf Rechtsgeſchäfte (bei Juriſten vorherrſchend von der
Formula des Formularproceſſes gebraucht, bei Gaj. IV, 24 forma für eine
legis actio, ſ. auch L. 2 §. 7, 12 de orig. jur. 1. 2). Der Ausdruck: con-
cepta verba
(z. B. beim Eid: Briss. VIII, 10, und Formularproceß) weiſt
auf die Abfaſſung im einzelnen Fall hin, allein wie die conceptae feriae
(im Gegenſatz der stativae, die ipso jure an beſtimmte Tage geknüpft wa-
ren) dem Herkommen nach zum Theil immer auf gewiſſe Tage gelegt wurden,
alſo ſtehend waren (Macrob. Sat. I, 16), ungeachtet ſie ihrem Begriff nach
lediglich auf der freien Beſtimmung des Magiſtrats beruhten, ſo auch viel-
fach die concepta verba.
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[611/0317] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 47. fen, daß es, weil den Charakter der alten Zeit verläugnend, neuern Urſprungs ſein muß. Wir gehen jetzt zu unſerer eigentlichen Aufgabe über. Der formelle Charakter unſeres zweiten Elements der Rechtsgeſchäfte beruhte auf zweierlei: (1) es waren be- ſtimmte Worte, und dieſelben mußten (2) geſprochen wer- den. Unterziehen wir dieſe beiden Momente einer nähern Be- trachtung. 1. Moment der Beſtimmtheit. 794) Es waren alſo beſtimmte, d. h. ein für alle Mal vorge- ſchriebene Worte oder Sätze, deren ſich die Partheien für die verſchiedenen Rechtshandlungen, ſowohl die des Proceſſes, als des Verkehrs zu bedienen hätten. Dieſe Beſtimmtheit aber war graduell verſchieden, bei der einen Handlung war die Par- thei mehr, bei der andern weniger eingeengt, hier war es eine längere Formel, eine ganze Litanei, die ſie nach zu beten hatte, dort nur ein einzelnes Schlagwort, namentlich der das Geſchäft bezeichnende Kunſtausdruck, mit dem ſie den concreten Inhalt deſſelben in Verbindung zu bringen hatte — gewiſſermaßen eine 794) Verba certa, solennia (d. i. sollo = toto anno = alljährlich wiederkehrende) legitima (ſtreng genommen die einer lex entnommenen, allein der Sprachgebrauch iſt ein weiterer). Ulp. IX, 1. XIX, 3. Gaj. I, 112. IV, 29. Gell. XI, 1. Briss. I c. 181. Bei Nichtjuriſten andere Ausdrücke z. B. carmen, solenne carmen, certa nuncupatio verborum und auch formula in Anwendung auf Rechtsgeſchäfte (bei Juriſten vorherrſchend von der Formula des Formularproceſſes gebraucht, bei Gaj. IV, 24 forma für eine legis actio, ſ. auch L. 2 §. 7, 12 de orig. jur. 1. 2). Der Ausdruck: con- cepta verba (z. B. beim Eid: Briss. VIII, 10, und Formularproceß) weiſt auf die Abfaſſung im einzelnen Fall hin, allein wie die conceptae feriae (im Gegenſatz der stativae, die ipso jure an beſtimmte Tage geknüpft wa- ren) dem Herkommen nach zum Theil immer auf gewiſſe Tage gelegt wurden, alſo ſtehend waren (Macrob. Sat. I, 16), ungeachtet ſie ihrem Begriff nach lediglich auf der freien Beſtimmung des Magiſtrats beruhten, ſo auch viel- fach die concepta verba. 39*

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/317>, abgerufen am 21.11.2024.