Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.Zweites Buch. Erster Abschnitt. II. Die Grundtriebe. 3. Selbsterhaltungs- und Erweiterungstrieb des geschriebenen Rechts. Dauerhaftigkeit des Rechts der Zwölftafeln -- Gründe dieser XXVII. Wir haben bis jetzt das Recht nach Seiten seiner Das Gesetz erhebt die Prätension, das Leben zu beherrschen, Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe. 3. Selbſterhaltungs- und Erweiterungstrieb des geſchriebenen Rechts. Dauerhaftigkeit des Rechts der Zwölftafeln — Gründe dieſer XXVII. Wir haben bis jetzt das Recht nach Seiten ſeiner Das Geſetz erhebt die Prätenſion, das Leben zu beherrſchen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0076" n="62"/> <fw place="top" type="header">Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe.</fw> </div><lb/> <div n="5"> <head>3. <hi rendition="#g">Selbſterhaltungs- und Erweiterungstrieb des<lb/> geſchriebenen Rechts</hi>.</head><lb/> <argument> <p> <hi rendition="#b">Dauerhaftigkeit des Rechts der Zwölftafeln — Gründe dieſer<lb/> Erſcheinung — Inneres Leben des Geſetzes — die alte<lb/><hi rendition="#aq">Interpretatio</hi>.</hi> </p> </argument><lb/> <p><hi rendition="#aq">XXVII.</hi> Wir haben bis jetzt das Recht nach Seiten ſeiner<lb/> Form und ſeines Inhalts betrachtet, es bleibt uns ein anderes,<lb/> für die Selbſtändigkeit deſſelben nicht minder wichtiges Mo-<lb/> ment, die Dauerhaftigkeit deſſelben. Auch für das ungeſchrie-<lb/> bene Recht kömmt dieſes Moment in Betracht, wir beſchränken<lb/> uns jedoch auf das geſchriebene, da nur für dieſes die Verfol-<lb/> gung jenes Geſichtspunktes ein Intereſſe haben kann, und das<lb/> ältere Privatrecht nach unſerer obigen Darſtellung (§. 25) ent-<lb/> ſchieden dieſer Art des Rechts angehört.</p><lb/> <p>Das Geſetz erhebt die Prätenſion, das Leben zu beherrſchen,<lb/> es in ſeiner Bewegung zu beſtimmen. Dieſe Prätenſion iſt<lb/> keine ſo ſchwierige, ſo lange Geſetz und Leben in Eintracht<lb/> ſtehen, alſo wenn erſteres bloß die rechtliche Formulirung des<lb/> letzteren iſt. Aber dieſe Eintracht wird oft nicht einmal von<lb/> vornherein vorhanden ſein, wenn nämlich das Geſetz irgend<lb/> eine Umgeſtaltung der bisherigen Verhältniſſe beabſichtigt, oft,<lb/> wenn ſie auch einmal beſtand, doch bald ein Ende nehmen, denn<lb/> das Leben eilt weiter, während das Geſetz unveränderlich und<lb/> unbeweglich bleibt. Hier gewinnt jene Prätenſion einen an-<lb/> dern Charakter, ſie führt, wenn ſie behauptet werden ſoll, zu<lb/> einem Kampfe zwiſchen dem Geſetz und dem Leben, und dem<lb/> einen oder andern von beiden Kämpfern muß Gewalt angethan<lb/> werden. Aber wem? Es wird Manchen als Paradoxie erſchei-<lb/> nen, wie man überhaupt nur einmal dieſe Frage aufwerfen<lb/> mag. Was wiſſen wir auf dem Continent — denn England<lb/> nehme ich aus — von der Anhänglichkeit an läſtig und unbe-<lb/> quem gewordene Geſetze! Die erſte Gelegenheit, und man ſchüt-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [62/0076]
Zweites Buch. Erſter Abſchnitt. II. Die Grundtriebe.
3. Selbſterhaltungs- und Erweiterungstrieb des
geſchriebenen Rechts.
Dauerhaftigkeit des Rechts der Zwölftafeln — Gründe dieſer
Erſcheinung — Inneres Leben des Geſetzes — die alte
Interpretatio.
XXVII. Wir haben bis jetzt das Recht nach Seiten ſeiner
Form und ſeines Inhalts betrachtet, es bleibt uns ein anderes,
für die Selbſtändigkeit deſſelben nicht minder wichtiges Mo-
ment, die Dauerhaftigkeit deſſelben. Auch für das ungeſchrie-
bene Recht kömmt dieſes Moment in Betracht, wir beſchränken
uns jedoch auf das geſchriebene, da nur für dieſes die Verfol-
gung jenes Geſichtspunktes ein Intereſſe haben kann, und das
ältere Privatrecht nach unſerer obigen Darſtellung (§. 25) ent-
ſchieden dieſer Art des Rechts angehört.
Das Geſetz erhebt die Prätenſion, das Leben zu beherrſchen,
es in ſeiner Bewegung zu beſtimmen. Dieſe Prätenſion iſt
keine ſo ſchwierige, ſo lange Geſetz und Leben in Eintracht
ſtehen, alſo wenn erſteres bloß die rechtliche Formulirung des
letzteren iſt. Aber dieſe Eintracht wird oft nicht einmal von
vornherein vorhanden ſein, wenn nämlich das Geſetz irgend
eine Umgeſtaltung der bisherigen Verhältniſſe beabſichtigt, oft,
wenn ſie auch einmal beſtand, doch bald ein Ende nehmen, denn
das Leben eilt weiter, während das Geſetz unveränderlich und
unbeweglich bleibt. Hier gewinnt jene Prätenſion einen an-
dern Charakter, ſie führt, wenn ſie behauptet werden ſoll, zu
einem Kampfe zwiſchen dem Geſetz und dem Leben, und dem
einen oder andern von beiden Kämpfern muß Gewalt angethan
werden. Aber wem? Es wird Manchen als Paradoxie erſchei-
nen, wie man überhaupt nur einmal dieſe Frage aufwerfen
mag. Was wiſſen wir auf dem Continent — denn England
nehme ich aus — von der Anhänglichkeit an läſtig und unbe-
quem gewordene Geſetze! Die erſte Gelegenheit, und man ſchüt-
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