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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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in dem sich die Nase so wollüstig berauscht, um die Augen Wolken
zieht? Doch Ihrem Urteil über mein Buch felet noch die andre Hälfte,
der Tadel; Sie schikten das Silber nur früher als die Pillen und der
Essigdampf, welcher wolriecht, kam ein wenig eher an als der Essig,
welcher beist. Ihre Rezension braucht übrigens Ihren schwarzen Rok5
nicht zum Advokaten; aber der schwarze Rok braucht die Rezension
dazu. Mir fält hier der Juwelirer ein, welcher den Diamant in einem
Gehäuse von schwarzem Samt vorzeigt, um die Stralen desselben
durch den Kontrast zu verdoppeln. Sie hüten Ihre wollichte Herde auf
dem Rükken des geistlichen Weinbergs, aber Sie strikken dabei Bücher10
-- auch Apollo hütete einmal eine Herde, die aber nicht Christo sondern
dem Admet angehörte ..... Die Skizzen haben vom Lobe der Dum-
heit, wie mich dünkt, kaum etliche Bogen geerbt und auf dem Grabe
meines Abortus keimten nur einige Nesseln aus seinem Moder auf; die
Satire über die Theologen, welche nebst der über den Anenstolz die15
schlech[te]ste ist, hat das meiste, und die Satire über die Schriftsteller,
welche die erträglichste ist, das wenigste daraus geborgt. -- Das
Motto bezieht sich weniger auf meine Satiren als auf meine Den-
kungsart; auch nam ich es mer wegen seiner Schönheit als seiner An-
gemessenheit.20

Von mir dürfen Sie nicht die Definizion, aber wol die Ausübung
der Dankbarkeit fordern; allein die Gütigkeit kan ich blos definiren und
Sie nur können sie ausüben. Definit: bonitas est habitus, (uti docet
quoque Wolf) secundum quem aliquis alicui epistolas scribit
multas.
25

Den felerhaften Egoismus in meinen Briefen müssen Sie auf die
Rechnung Ihrer Fragen schreiben, die nur mich betreffen. Den Plan
meines Lebens wollen Sie wissen? das Schiksal wird ihn erst ent-
werfen; mit meinen Aussichten verträgt sich keiner und ich schwimme
auf dem Zufalle one Steuerruder herum, wiewol darum nicht one30
Segel. Ich bin kein Theolog mer; ich treibe keine einzige Wissenschaft
ex professo, und alle nur insofern als sie mich ergözen oder in meine
Schriftstellerei einschlagen; und selbst die Philosophie ist mir gleich-
gültig, seitdem ich an allem zweifle. Aber mein Herz ist mir hier so vol!
so vol! daß ich schweige. In künftigen Briefen, auf die ich merere Zeit35
[73]wenden kan, wil ich Ihnen viel vom Skeptizismus und von meinem
Ekel an der tollen Maskerade und Harlekinade, die man Leben nent,

in dem ſich die Naſe ſo wollüſtig berauſcht, um die Augen Wolken
zieht? Doch Ihrem Urteil über mein Buch felet noch die andre Hälfte,
der Tadel; Sie ſchikten das Silber nur früher als die Pillen und der
Eſſigdampf, welcher wolriecht, kam ein wenig eher an als der Eſſig,
welcher beiſt. Ihre Rezenſion braucht übrigens Ihren ſchwarzen Rok5
nicht zum Advokaten; aber der ſchwarze Rok braucht die Rezenſion
dazu. Mir fält hier der Juwelirer ein, welcher den Diamant in einem
Gehäuſe von ſchwarzem Samt vorzeigt, um die Stralen deſſelben
durch den Kontraſt zu verdoppeln. Sie hüten Ihre wollichte Herde auf
dem Rükken des geiſtlichen Weinbergs, aber Sie ſtrikken dabei Bücher10
— auch Apollo hütete einmal eine Herde, die aber nicht Chriſto ſondern
dem Admet angehörte ..... Die Skizzen haben vom Lobe der Dum-
heit, wie mich dünkt, kaum etliche Bogen geerbt und auf dem Grabe
meines Abortus keimten nur einige Neſſeln aus ſeinem Moder auf; die
Satire über die Theologen, welche nebſt der über den Anenſtolz die15
ſchlech[te]ſte iſt, hat das meiſte, und die Satire über die Schriftſteller,
welche die erträglichſte iſt, das wenigſte daraus geborgt. — Das
Motto bezieht ſich weniger auf meine Satiren als auf meine Den-
kungsart; auch nam ich es mer wegen ſeiner Schönheit als ſeiner An-
gemeſſenheit.20

Von mir dürfen Sie nicht die Definizion, aber wol die Ausübung
der Dankbarkeit fordern; allein die Gütigkeit kan ich blos definiren und
Sie nur können ſie ausüben. Definit: bonitas est habitus, (uti docet
quoque Wolf) secundum quem aliquis alicui epistolas scribit
multas.
25

Den felerhaften Egoiſmus in meinen Briefen müſſen Sie auf die
Rechnung Ihrer Fragen ſchreiben, die nur mich betreffen. Den Plan
meines Lebens wollen Sie wiſſen? das Schikſal wird ihn erſt ent-
werfen; mit meinen Ausſichten verträgt ſich keiner und ich ſchwimme
auf dem Zufalle one Steuerruder herum, wiewol darum nicht one30
Segel. Ich bin kein Theolog mer; ich treibe keine einzige Wiſſenſchaft
ex professo, und alle nur inſofern als ſie mich ergözen oder in meine
Schriftſtellerei einſchlagen; und ſelbſt die Philoſophie iſt mir gleich-
gültig, ſeitdem ich an allem zweifle. Aber mein Herz iſt mir hier ſo vol!
ſo vol! daß ich ſchweige. In künftigen Briefen, auf die ich merere Zeit35
[73]wenden kan, wil ich Ihnen viel vom Skeptiziſmus und von meinem
Ekel an der tollen Maſkerade und Harlekinade, die man Leben nent,

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[66/0089] in dem ſich die Naſe ſo wollüſtig berauſcht, um die Augen Wolken zieht? Doch Ihrem Urteil über mein Buch felet noch die andre Hälfte, der Tadel; Sie ſchikten das Silber nur früher als die Pillen und der Eſſigdampf, welcher wolriecht, kam ein wenig eher an als der Eſſig, welcher beiſt. Ihre Rezenſion braucht übrigens Ihren ſchwarzen Rok 5 nicht zum Advokaten; aber der ſchwarze Rok braucht die Rezenſion dazu. Mir fält hier der Juwelirer ein, welcher den Diamant in einem Gehäuſe von ſchwarzem Samt vorzeigt, um die Stralen deſſelben durch den Kontraſt zu verdoppeln. Sie hüten Ihre wollichte Herde auf dem Rükken des geiſtlichen Weinbergs, aber Sie ſtrikken dabei Bücher 10 — auch Apollo hütete einmal eine Herde, die aber nicht Chriſto ſondern dem Admet angehörte ..... Die Skizzen haben vom Lobe der Dum- heit, wie mich dünkt, kaum etliche Bogen geerbt und auf dem Grabe meines Abortus keimten nur einige Neſſeln aus ſeinem Moder auf; die Satire über die Theologen, welche nebſt der über den Anenſtolz die 15 ſchlech[te]ſte iſt, hat das meiſte, und die Satire über die Schriftſteller, welche die erträglichſte iſt, das wenigſte daraus geborgt. — Das Motto bezieht ſich weniger auf meine Satiren als auf meine Den- kungsart; auch nam ich es mer wegen ſeiner Schönheit als ſeiner An- gemeſſenheit. 20 Von mir dürfen Sie nicht die Definizion, aber wol die Ausübung der Dankbarkeit fordern; allein die Gütigkeit kan ich blos definiren und Sie nur können ſie ausüben. Definit: bonitas est habitus, (uti docet quoque Wolf) secundum quem aliquis alicui epistolas scribit multas. 25 Den felerhaften Egoiſmus in meinen Briefen müſſen Sie auf die Rechnung Ihrer Fragen ſchreiben, die nur mich betreffen. Den Plan meines Lebens wollen Sie wiſſen? das Schikſal wird ihn erſt ent- werfen; mit meinen Ausſichten verträgt ſich keiner und ich ſchwimme auf dem Zufalle one Steuerruder herum, wiewol darum nicht one 30 Segel. Ich bin kein Theolog mer; ich treibe keine einzige Wiſſenſchaft ex professo, und alle nur inſofern als ſie mich ergözen oder in meine Schriftſtellerei einſchlagen; und ſelbſt die Philoſophie iſt mir gleich- gültig, ſeitdem ich an allem zweifle. Aber mein Herz iſt mir hier ſo vol! ſo vol! daß ich ſchweige. In künftigen Briefen, auf die ich merere Zeit 35 wenden kan, wil ich Ihnen viel vom Skeptiziſmus und von meinem Ekel an der tollen Maſkerade und Harlekinade, die man Leben nent, [73]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/89>, abgerufen am 26.04.2024.