Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es öder um mich her; und so setzt sich denn die sonderbare Gemüthsstimmung, die Du an mir tadelst, und wofür Du keinen Namen weißt, immer fester. Ich soll es Dir nennen, was weder Milzsucht, Trübsinn, Menschenhaß oder Menschenverachtung, noch sonst etwas ist, wo- zu sich aus Romanen oder Schauspielen eine Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu- gleich so warm und so kalt macht, meine Seele so offen und so zugeschlossen. Lieber Clerdon, vielleicht ein andermal; diesmal höre, was sich gestern zutrug.
A
I. Sylli an Clerdon.
Den 6ten Maͤrz.
Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt, immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo- zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu- gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon, vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was ſich geſtern zutrug.
A
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I.
Sylli an Clerdon.
Den 6ten Maͤrz.
Ja, mein Freund, noch alle Tage wird es
oͤder um mich her; und ſo ſetzt ſich denn die
ſonderbare Gemuͤthsſtimmung, die Du an mir
tadelſt, und wofuͤr Du keinen Namen weißt,
immer feſter. Ich ſoll es Dir nennen, was
weder Milzſucht, Truͤbſinn, Menſchenhaß oder
Menſchenverachtung, noch ſonſt etwas iſt, wo-
zu ſich aus Romanen oder Schauſpielen eine
Deutung holen ließe; was aber mein Herz zu-
gleich ſo warm und ſo kalt macht, meine Seele
ſo offen und ſo zugeſchloſſen. Lieber Clerdon,
vielleicht ein andermal; diesmal hoͤre, was
ſich geſtern zutrug.
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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