Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege, von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen sah, bemerkte ich, daß ein spindeldürrer Mensch vor meinem Wagen auf der Landstraße hin und her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be- trunken gelten konnte, denn er taumelte in der That außerordentlich und fiel nach einigen Ver- suchen, Grund und Boden dennoch fest unter den Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine Lage da unten zwischen Wegerich, Nesseln und Vo- gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menschen, denn ganz symmetrisch war er gefallen, mit dem Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra- ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und links auf die Ränder des Grabens gestreckt, so daß der Meridian gerade durch sein Centrum ging. Dieses außerordentliche Schauspiel regte meine be-
III. Der magiſche Schneider.
Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege, von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen ſah, bemerkte ich, daß ein ſpindeldürrer Menſch vor meinem Wagen auf der Landſtraße hin und her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be- trunken gelten konnte, denn er taumelte in der That außerordentlich und fiel nach einigen Ver- ſuchen, Grund und Boden dennoch feſt unter den Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine Lage da unten zwiſchen Wegerich, Neſſeln und Vo- gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menſchen, denn ganz ſymmetriſch war er gefallen, mit dem Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra- ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und links auf die Ränder des Grabens geſtreckt, ſo daß der Meridian gerade durch ſein Centrum ging. Dieſes außerordentliche Schauſpiel regte meine be-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0267"n="249"/><divn="2"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">III.</hi></hi><lb/><hirendition="#g">Der magiſche Schneider</hi>.</head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege,<lb/>
von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen<lb/>ſah, bemerkte ich, daß ein ſpindeldürrer Menſch<lb/>
vor meinem Wagen auf der Landſtraße hin und<lb/>
her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be-<lb/>
trunken gelten konnte, denn er taumelte in der<lb/>
That außerordentlich und fiel nach einigen Ver-<lb/>ſuchen, Grund und Boden dennoch feſt unter den<lb/>
Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine<lb/>
Lage da unten zwiſchen Wegerich, Neſſeln und Vo-<lb/>
gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menſchen,<lb/>
denn ganz ſymmetriſch war er gefallen, mit dem<lb/>
Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra-<lb/>
ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und<lb/>
links auf die Ränder des Grabens geſtreckt, ſo daß<lb/>
der Meridian gerade durch ſein Centrum ging.<lb/>
Dieſes außerordentliche Schauſpiel regte meine be-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[249/0267]
III.
Der magiſche Schneider.
Nicht weit vom Orte in einem engen Thalwege,
von wo ich bereits deutlich die Weibertreue ragen
ſah, bemerkte ich, daß ein ſpindeldürrer Menſch
vor meinem Wagen auf der Landſtraße hin und
her wankte, der nach gemeinen Begriffen für be-
trunken gelten konnte, denn er taumelte in der
That außerordentlich und fiel nach einigen Ver-
ſuchen, Grund und Boden dennoch feſt unter den
Füßen zu halten, nebenan in den Graben. Seine
Lage da unten zwiſchen Wegerich, Neſſeln und Vo-
gelkraut war nicht die eines gewöhnlichen Menſchen,
denn ganz ſymmetriſch war er gefallen, mit dem
Rücken und Kopfe genau in die Mitte des Stra-
ßengrabens, die Arme und Füße aber rechts und
links auf die Ränder des Grabens geſtreckt, ſo daß
der Meridian gerade durch ſein Centrum ging.
Dieſes außerordentliche Schauſpiel regte meine be-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/267>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.