Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.wußtseyn ihre stereotypen Formeln eingeprägt hat, welche mit 5. M., 28 Jahre alt, die Tochter eines Colonisten, mußte Eine Reihe von Jahren, welche sie nach erfolgter Ein¬ wußtſeyn ihre ſtereotypen Formeln eingepraͤgt hat, welche mit 5. M., 28 Jahre alt, die Tochter eines Coloniſten, mußte Eine Reihe von Jahren, welche ſie nach erfolgter Ein¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0096" n="88"/> wußtſeyn ihre ſtereotypen Formeln eingepraͤgt hat, welche mit<lb/> Ausſchließung aller dialektiſchen Verſtandesthaͤtigkeit auf einen<lb/> engſten Kreis von Begriffen ſich beſchraͤnken.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>5.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">M</hi><hi rendition="#b">.</hi>, 28 Jahre alt, die Tochter eines Coloniſten, mußte<lb/> nach dem fruͤhzeitig erfolgten Tode ihrer Mutter das harte Loos<lb/> erdulden, von zwei Stiefmuͤttern, deren erſte durch Boͤsartig¬<lb/> keit ſogar ihren Vater zur Eheſcheidung noͤthigte, aͤußerſt lieb¬<lb/> los, ja grauſam behandelt zu werden. Als Probe dieſer ſchlech¬<lb/> ten Erziehung mag es dienen, daß die M. ſchon als kleines<lb/> Kind oft gezwungen wurde, auf der Wieſe eines Nachbarn<lb/> Gras fuͤr die Kuͤhe zu ſtehlen, und daß ſie unbarmherzig ge¬<lb/> zuͤchtigt wurde, wenn ſie entweder nicht Futter genug fuͤr die¬<lb/> ſelben brachte, oder wenn man ihr den Korb abgepfaͤndet hatte.<lb/> Mit den kraͤnkendſten Schimpfworten uͤberſchuͤttet, durfte ſie<lb/> ſich kaum ſatt eſſen, und bei ihrem charakterloſen Vater<lb/> fand ſie gar keinen Schutz gegen dieſe Unbilden. Dennoch<lb/> hatte die M. einen lebensfrohen Sinn, welcher bei Spielen<lb/> mit Altersgenoſſen ſich fuͤr alles haͤusliche Ungemach entſchaͤ¬<lb/> digte, und da ſie uͤberdies ſtets einer guten Geſundheit ſich<lb/> erfreute, ſo ſchritt ihre koͤrperliche Entwickelung ungehindert<lb/> fort, ſo daß ſie zu einer bluͤhenden und kraͤftigen Jungfrau<lb/> heranwuchs.</p><lb/> <p>Eine Reihe von Jahren, welche ſie nach erfolgter Ein¬<lb/> ſegnung als Dienſtmaͤdchen in mehreren Haushaltungen auf<lb/> dem Lande und in einer kleinen Stadt zubrachte, verſtrich fuͤr<lb/> ſie unter ſehr druͤckenden Verhaͤltniſſen, da ſie faſt immer eine<lb/> harte und kraͤnkende Behandlung, ja ſelbſt bei geringfuͤgigen<lb/> Veranlaſſungen zuweilen Schlaͤge erdulden mußte, ſo daß ſie<lb/> oft der Verzweiflung nahe war. Vielleicht liegt dieſen Anga¬<lb/> ben von ihr eine theilweiſe Uebertreibung zum Grunde, wie<lb/> ſie denn auch wohl nicht von aller Schuld frei zu ſprechen<lb/> ſeyn mag; indeß nach laͤngerer Bekanntſchaft mit ihr muß<lb/> man ihr durchaus das Zeugniß geben, daß ſie eine ſanfte,<lb/> friedliebende Gemuͤthsart beſitzt, und daß ſie durch Nichts Roh¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0096]
wußtſeyn ihre ſtereotypen Formeln eingepraͤgt hat, welche mit
Ausſchließung aller dialektiſchen Verſtandesthaͤtigkeit auf einen
engſten Kreis von Begriffen ſich beſchraͤnken.
5.
M., 28 Jahre alt, die Tochter eines Coloniſten, mußte
nach dem fruͤhzeitig erfolgten Tode ihrer Mutter das harte Loos
erdulden, von zwei Stiefmuͤttern, deren erſte durch Boͤsartig¬
keit ſogar ihren Vater zur Eheſcheidung noͤthigte, aͤußerſt lieb¬
los, ja grauſam behandelt zu werden. Als Probe dieſer ſchlech¬
ten Erziehung mag es dienen, daß die M. ſchon als kleines
Kind oft gezwungen wurde, auf der Wieſe eines Nachbarn
Gras fuͤr die Kuͤhe zu ſtehlen, und daß ſie unbarmherzig ge¬
zuͤchtigt wurde, wenn ſie entweder nicht Futter genug fuͤr die¬
ſelben brachte, oder wenn man ihr den Korb abgepfaͤndet hatte.
Mit den kraͤnkendſten Schimpfworten uͤberſchuͤttet, durfte ſie
ſich kaum ſatt eſſen, und bei ihrem charakterloſen Vater
fand ſie gar keinen Schutz gegen dieſe Unbilden. Dennoch
hatte die M. einen lebensfrohen Sinn, welcher bei Spielen
mit Altersgenoſſen ſich fuͤr alles haͤusliche Ungemach entſchaͤ¬
digte, und da ſie uͤberdies ſtets einer guten Geſundheit ſich
erfreute, ſo ſchritt ihre koͤrperliche Entwickelung ungehindert
fort, ſo daß ſie zu einer bluͤhenden und kraͤftigen Jungfrau
heranwuchs.
Eine Reihe von Jahren, welche ſie nach erfolgter Ein¬
ſegnung als Dienſtmaͤdchen in mehreren Haushaltungen auf
dem Lande und in einer kleinen Stadt zubrachte, verſtrich fuͤr
ſie unter ſehr druͤckenden Verhaͤltniſſen, da ſie faſt immer eine
harte und kraͤnkende Behandlung, ja ſelbſt bei geringfuͤgigen
Veranlaſſungen zuweilen Schlaͤge erdulden mußte, ſo daß ſie
oft der Verzweiflung nahe war. Vielleicht liegt dieſen Anga¬
ben von ihr eine theilweiſe Uebertreibung zum Grunde, wie
ſie denn auch wohl nicht von aller Schuld frei zu ſprechen
ſeyn mag; indeß nach laͤngerer Bekanntſchaft mit ihr muß
man ihr durchaus das Zeugniß geben, daß ſie eine ſanfte,
friedliebende Gemuͤthsart beſitzt, und daß ſie durch Nichts Roh¬
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