Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847.sprächs nöthigt. So viel als möglich mischt er Bibelsprüche 17. G., 31 Jahr alt, der Sohn eines Schuhmachers in ei¬ ſpraͤchs noͤthigt. So viel als moͤglich miſcht er Bibelſpruͤche 17. G., 31 Jahr alt, der Sohn eines Schuhmachers in ei¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0192" n="184"/> ſpraͤchs noͤthigt. So viel als moͤglich miſcht er Bibelſpruͤche<lb/> ein, um ſeinen Behauptungen einen groͤßeren Nachdruck zu<lb/> geben, und wenn auch der irre Lauf ſeines Geiſtes faſt die<lb/> ganze Welt durchſchweift, ſo laͤßt ſich doch die Grundrichtung<lb/> ſeines Wahnwitzes auf ein durch ihn zu ſtiftendes Gottesreich<lb/> mit allem Glanze der Apokalypſe nicht verkennen.</p><lb/> </div> <div n="1"> <head>17.<lb/></head> <p><hi rendition="#b #fr">G</hi><hi rendition="#b">.</hi>, 31 Jahr alt, der Sohn eines Schuhmachers in ei¬<lb/> ner maͤrkiſchen Provinzialſtadt, mußte von ſeiner zarteſten<lb/> Kindheit Augenzeuge der Brutalitaͤt ſein, welche letzterer, ein<lb/> arger Trunkenbold, namentlich gegen ſeine Ehefrau ausuͤbte,<lb/> welche er ſehr haͤufig mißhandelte, wodurch er unſtreitig ihren<lb/> Tod in Folge von Blutfluͤſſen beſchleunigte. G. wurde durch<lb/> dieſe taͤglich wiederkehrenden haͤuslichen Leiden fruͤhzeitig zu<lb/> einem tiefen Ernſt geſtimmt, welcher bald den Charakter einer<lb/> erregten Froͤmmigkeit annahm. Denn der Schulbeſuch wurde<lb/> ihm durch den darin empfangenen Religionsunterricht, in wel¬<lb/> chem er ſich erhoben und ermuthigt fuͤhlte, zum Gegenſtande<lb/> einer ſo ſtarken Vorliebe, daß er ſich ſelbſt durch Mißhand¬<lb/> lungen ſeines Vaters, welcher ihn bei ſeinem Handwerke be¬<lb/> ſchaͤftigen wollte, nicht davon zuruͤckhalten ließ. Er ſpricht<lb/> ſich beſtimmt dahin aus, daß jene fromme Neigung, welche<lb/> ihn gegen die uͤbrigen Lehrgegenſtaͤnde gleichguͤltig machte, al¬<lb/> lein in ihm erwacht ſei, weil der rohe Vater gegen alle Re¬<lb/> ligioſitaͤt mit cyniſchen Worten ſich erklaͤrte, und ſeine Mutter<lb/> es nicht wagen durfte, mit ihm und ſeinen Geſchwiſtern An¬<lb/> dachtsuͤbungen anzuſtellen. Deſto mehr Nahrung fuͤr ſeinen<lb/> frommen Sinn fand er bei dem Ortsgeiſtlichen, welcher den¬<lb/> ſelben waͤhrend des Religionsunterrichts bemerkt hatte, ihn<lb/> lieb gewann, und oft zu ſich einlud, um mit ihm uͤber reli¬<lb/> gioͤſe Gegenſtaͤnde zu ſprechen. Es ſcheint indeß nicht, daß<lb/> er myſtiſche Vorſtellungen ihm eingepflanzt habe, da er zu ihm<lb/> nur von der Nothwendigkeit ſprach, dem Vorbilde Chriſti in<lb/> Leiden und Drangſalen nachzufolgen, und ſeinen Glauben<lb/> nicht nur durch das Wort, ſondern auch durch treue Pflicht¬<lb/> erfuͤllung zu bewaͤhren. G. muß auf den Inhalt dieſer Ge¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [184/0192]
ſpraͤchs noͤthigt. So viel als moͤglich miſcht er Bibelſpruͤche
ein, um ſeinen Behauptungen einen groͤßeren Nachdruck zu
geben, und wenn auch der irre Lauf ſeines Geiſtes faſt die
ganze Welt durchſchweift, ſo laͤßt ſich doch die Grundrichtung
ſeines Wahnwitzes auf ein durch ihn zu ſtiftendes Gottesreich
mit allem Glanze der Apokalypſe nicht verkennen.
17.
G., 31 Jahr alt, der Sohn eines Schuhmachers in ei¬
ner maͤrkiſchen Provinzialſtadt, mußte von ſeiner zarteſten
Kindheit Augenzeuge der Brutalitaͤt ſein, welche letzterer, ein
arger Trunkenbold, namentlich gegen ſeine Ehefrau ausuͤbte,
welche er ſehr haͤufig mißhandelte, wodurch er unſtreitig ihren
Tod in Folge von Blutfluͤſſen beſchleunigte. G. wurde durch
dieſe taͤglich wiederkehrenden haͤuslichen Leiden fruͤhzeitig zu
einem tiefen Ernſt geſtimmt, welcher bald den Charakter einer
erregten Froͤmmigkeit annahm. Denn der Schulbeſuch wurde
ihm durch den darin empfangenen Religionsunterricht, in wel¬
chem er ſich erhoben und ermuthigt fuͤhlte, zum Gegenſtande
einer ſo ſtarken Vorliebe, daß er ſich ſelbſt durch Mißhand¬
lungen ſeines Vaters, welcher ihn bei ſeinem Handwerke be¬
ſchaͤftigen wollte, nicht davon zuruͤckhalten ließ. Er ſpricht
ſich beſtimmt dahin aus, daß jene fromme Neigung, welche
ihn gegen die uͤbrigen Lehrgegenſtaͤnde gleichguͤltig machte, al¬
lein in ihm erwacht ſei, weil der rohe Vater gegen alle Re¬
ligioſitaͤt mit cyniſchen Worten ſich erklaͤrte, und ſeine Mutter
es nicht wagen durfte, mit ihm und ſeinen Geſchwiſtern An¬
dachtsuͤbungen anzuſtellen. Deſto mehr Nahrung fuͤr ſeinen
frommen Sinn fand er bei dem Ortsgeiſtlichen, welcher den¬
ſelben waͤhrend des Religionsunterrichts bemerkt hatte, ihn
lieb gewann, und oft zu ſich einlud, um mit ihm uͤber reli¬
gioͤſe Gegenſtaͤnde zu ſprechen. Es ſcheint indeß nicht, daß
er myſtiſche Vorſtellungen ihm eingepflanzt habe, da er zu ihm
nur von der Nothwendigkeit ſprach, dem Vorbilde Chriſti in
Leiden und Drangſalen nachzufolgen, und ſeinen Glauben
nicht nur durch das Wort, ſondern auch durch treue Pflicht¬
erfuͤllung zu bewaͤhren. G. muß auf den Inhalt dieſer Ge¬
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