der Nächte lag der Satan, eine lange Gestalt mit einem Kalbskopfe, so schwer auf ihm, daß er kein Glied rühren konnte. Während dieser Höllenpein vernahm er dreimal den Ruf: mein Sohn! und vergebens schrie er: weiche von mir, Satan! Seine Phantasie war in einem solchen Grade aufgeregt, daß er in einer jener Nächte eine Menge Visionen von Männern, Bergen, Wäldern, Waizenfeldern und Dornen¬ hecken hatte, aus denen eine Stimme dreimal mein Schäf¬ lein und dreimal Israel rief. Diese Anfechtungen des Teufels riefen ihm lebhaft die Versuchung des Heilandes durch den Bösen in die Erinnerung, und da er durch Quaa¬ len und Entbehrungen zum Prophetenthum geführt zu sein glaubt, so ist er völlig überzeugt, daß er als Elias in der jetzigen Zeit auftreten solle.
Ueber den Ursprung seines Seelenleidens habe ich mir keine näheren Aufschlüsse verschaffen können, da er auf Fragen nach seinen früheren Lebensverhältnissen sich nicht einließ, und anderweitige Nachrichten über ihn mir nicht zugekommen sind. Nur die eine Bemerkung glaube ich hierüber machen zu dür¬ fen, daß das eifrige Lesen sogenannter Traktätlein, von denen er mehrere bei sich führt, wesentlich dazu beigetragen hat, sei¬ ne schwärmende Phantasie noch mehr zu erhitzen. Insbeson¬ dere scheint eine kleine Schrift, welche im Jahre 1845 unter dem Titel der Antichrist in Berlin gedruckt worden ist, einen starken Einfluß auf ihn ausgeübt zu haben, denn er erklärte ausdrücklich, daß sie von ihm zeuge, und berief sich zur Bestätigung dessen namentlich auf folgende Stelle: "Der Geist der Wahrheit, der da ist der heilige Geist, welcher im Menschen wohnt, wird eröffnen, was die sieben Donner ge¬ redet haben, die Johannes versiegeln mußte."
7.
F., 54 Jahre alt, ist die Tochter eines Ackerbürgers in einer kleinen Provinzialstadt, welcher wegen seiner dürfti¬ gen Lage genöthigt war, sich als Fuhrmann zu ernähren. Sie schildert ihn als einen rohen, ja bösartigen Trunkenbold, wel¬ cher bei jeder Gelegenheit seine Frau und seine 6 Töchter
der Naͤchte lag der Satan, eine lange Geſtalt mit einem Kalbskopfe, ſo ſchwer auf ihm, daß er kein Glied ruͤhren konnte. Waͤhrend dieſer Hoͤllenpein vernahm er dreimal den Ruf: mein Sohn! und vergebens ſchrie er: weiche von mir, Satan! Seine Phantaſie war in einem ſolchen Grade aufgeregt, daß er in einer jener Naͤchte eine Menge Viſionen von Maͤnnern, Bergen, Waͤldern, Waizenfeldern und Dornen¬ hecken hatte, aus denen eine Stimme dreimal mein Schaͤf¬ lein und dreimal Israel rief. Dieſe Anfechtungen des Teufels riefen ihm lebhaft die Verſuchung des Heilandes durch den Boͤſen in die Erinnerung, und da er durch Quaa¬ len und Entbehrungen zum Prophetenthum gefuͤhrt zu ſein glaubt, ſo iſt er voͤllig uͤberzeugt, daß er als Elias in der jetzigen Zeit auftreten ſolle.
Ueber den Urſprung ſeines Seelenleidens habe ich mir keine naͤheren Aufſchluͤſſe verſchaffen koͤnnen, da er auf Fragen nach ſeinen fruͤheren Lebensverhaͤltniſſen ſich nicht einließ, und anderweitige Nachrichten uͤber ihn mir nicht zugekommen ſind. Nur die eine Bemerkung glaube ich hieruͤber machen zu duͤr¬ fen, daß das eifrige Leſen ſogenannter Traktaͤtlein, von denen er mehrere bei ſich fuͤhrt, weſentlich dazu beigetragen hat, ſei¬ ne ſchwaͤrmende Phantaſie noch mehr zu erhitzen. Insbeſon¬ dere ſcheint eine kleine Schrift, welche im Jahre 1845 unter dem Titel der Antichriſt in Berlin gedruckt worden iſt, einen ſtarken Einfluß auf ihn ausgeuͤbt zu haben, denn er erklaͤrte ausdruͤcklich, daß ſie von ihm zeuge, und berief ſich zur Beſtaͤtigung deſſen namentlich auf folgende Stelle: „Der Geiſt der Wahrheit, der da iſt der heilige Geiſt, welcher im Menſchen wohnt, wird eroͤffnen, was die ſieben Donner ge¬ redet haben, die Johannes verſiegeln mußte.”
7.
F., 54 Jahre alt, iſt die Tochter eines Ackerbuͤrgers in einer kleinen Provinzialſtadt, welcher wegen ſeiner duͤrfti¬ gen Lage genoͤthigt war, ſich als Fuhrmann zu ernaͤhren. Sie ſchildert ihn als einen rohen, ja boͤsartigen Trunkenbold, wel¬ cher bei jeder Gelegenheit ſeine Frau und ſeine 6 Toͤchter
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der Naͤchte lag der Satan, eine lange Geſtalt mit einem
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Ruf: mein Sohn! und vergebens ſchrie er: weiche von
mir, Satan! Seine Phantaſie war in einem ſolchen Grade
aufgeregt, daß er in einer jener Naͤchte eine Menge Viſionen
von Maͤnnern, Bergen, Waͤldern, Waizenfeldern und Dornen¬
hecken hatte, aus denen eine Stimme dreimal mein Schaͤf¬
lein und dreimal Israel rief. Dieſe Anfechtungen des
Teufels riefen ihm lebhaft die Verſuchung des Heilandes
durch den Boͤſen in die Erinnerung, und da er durch Quaa¬
len und Entbehrungen zum Prophetenthum gefuͤhrt zu ſein
glaubt, ſo iſt er voͤllig uͤberzeugt, daß er als Elias in der
jetzigen Zeit auftreten ſolle.
Ueber den Urſprung ſeines Seelenleidens habe ich mir
keine naͤheren Aufſchluͤſſe verſchaffen koͤnnen, da er auf Fragen
nach ſeinen fruͤheren Lebensverhaͤltniſſen ſich nicht einließ, und
anderweitige Nachrichten uͤber ihn mir nicht zugekommen ſind.
Nur die eine Bemerkung glaube ich hieruͤber machen zu duͤr¬
fen, daß das eifrige Leſen ſogenannter Traktaͤtlein, von denen
er mehrere bei ſich fuͤhrt, weſentlich dazu beigetragen hat, ſei¬
ne ſchwaͤrmende Phantaſie noch mehr zu erhitzen. Insbeſon¬
dere ſcheint eine kleine Schrift, welche im Jahre 1845 unter
dem Titel der Antichriſt in Berlin gedruckt worden iſt,
einen ſtarken Einfluß auf ihn ausgeuͤbt zu haben, denn er
erklaͤrte ausdruͤcklich, daß ſie von ihm zeuge, und berief ſich
zur Beſtaͤtigung deſſen namentlich auf folgende Stelle: „Der
Geiſt der Wahrheit, der da iſt der heilige Geiſt, welcher im
Menſchen wohnt, wird eroͤffnen, was die ſieben Donner ge¬
redet haben, die Johannes verſiegeln mußte.”
7.
F., 54 Jahre alt, iſt die Tochter eines Ackerbuͤrgers
in einer kleinen Provinzialſtadt, welcher wegen ſeiner duͤrfti¬
gen Lage genoͤthigt war, ſich als Fuhrmann zu ernaͤhren. Sie
ſchildert ihn als einen rohen, ja boͤsartigen Trunkenbold, wel¬
cher bei jeder Gelegenheit ſeine Frau und ſeine 6 Toͤchter
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Ideler, Karl Wilhelm: Der religiöse Wahnsinn, erläutert durch Krankengeschichten. Ein Beitrag zur Geschichte der religiösen Wirren der Gegenwart. Halle (Saale), 1847, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ideler_wahnsinn_1847/113>, abgerufen am 23.02.2025.
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