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Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188.

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willkührlich scheinenden Zeichen zum Theil ursprünglich Bilder waren, ist aber, und gerade in Rücksicht auf die Sprache, von erheblicher Wichtigkeit, wie man an der Mexicanischen und Peruanischen zeigen kann.

Die Mexicanischen Hieroglyphen hatten einen nicht geringen Grad der Vollkommenheit erreicht; sie bewahrten offenbar den Gedanken durch sich selbst, da sie noch heute verständlich sind, sie unterschieden sich auch bisweilen deutlich von bloßen Bildern. Denn wenn auch z. B. der Begriff der Eroberung in ihnen meistentheils durch den Kampf zweier Krieger vorgestellt wird, so findet man doch auch den sitzenden König mit seinem Namenszeichen, dann Waffen, als Tropheen gebildet, und das Sinnbild der eroberten Stadt, welches zusammengenommen die deutliche Phrase: der König eroberte die Stadt, und eine viel bestimmter ausgedruckte ist, als die berühmte Saitische Inschrift, die als die einzige angeführt zu werden pflegt, wo sich in dem Zeugniß des Alterthums zugleich Bedeutung und Zeichen erhalten haben. Man sieht auch aus dem eben Gesagten, daß es nicht an Mitteln fehlte, auch Namen zu schreiben, und man daher auf dem Wege war, Lautzeichen in der Art der Chinesischen zu besitzen. Dennoch ist sehr zu bezweifeln, ob die Mexicanische Hieroglyphik jemals wahre Schrift geworden ist.

Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist. Nennt man dagegen Schrift im weitläufigsten Verstande jede Gedanken-Mittheilung, die durch Laute geschieht, d. h. bei welcher der Schreibende sich Worte denkt, und welche der Lesende in Worte, wenn gleich nicht in dieselben, übersetzt (eine Bestimmung, ohne die es gar keine Gränze zwischen Bild und Schrift geben würde), so liegt zwischen diesen beiden Endpunkten ein weiter Raum für mannigfaltige Grade der Schriftvollkommenheit. Diese hangt nemlich davon ab, inwieweit der Gebrauch die Beschaffenheit der Zeichen mehr oder weniger an bestimmte Wörter, oder auch nur Gedanken gebunden hat, und mithin die Entzifferung sich mehr oder weniger dem wirklichen Ablesen nähert, und in diesem Raum, ohne den Begriff wahrer Schrift zu erreichen,

willkührlich scheinenden Zeichen zum Theil ursprünglich Bilder waren, ist aber, und gerade in Rücksicht auf die Sprache, von erheblicher Wichtigkeit, wie man an der Mexicanischen und Peruanischen zeigen kann.

Die Mexicanischen Hieroglyphen hatten einen nicht geringen Grad der Vollkommenheit erreicht; sie bewahrten offenbar den Gedanken durch sich selbst, da sie noch heute verständlich sind, sie unterschieden sich auch bisweilen deutlich von bloßen Bildern. Denn wenn auch z. B. der Begriff der Eroberung in ihnen meistentheils durch den Kampf zweier Krieger vorgestellt wird, so findet man doch auch den sitzenden König mit seinem Namenszeichen, dann Waffen, als Tropheen gebildet, und das Sinnbild der eroberten Stadt, welches zusammengenommen die deutliche Phrase: der König eroberte die Stadt, und eine viel bestimmter ausgedruckte ist, als die berühmte Saitische Inschrift, die als die einzige angeführt zu werden pflegt, wo sich in dem Zeugniß des Alterthums zugleich Bedeutung und Zeichen erhalten haben. Man sieht auch aus dem eben Gesagten, daß es nicht an Mitteln fehlte, auch Namen zu schreiben, und man daher auf dem Wege war, Lautzeichen in der Art der Chinesischen zu besitzen. Dennoch ist sehr zu bezweifeln, ob die Mexicanische Hieroglyphik jemals wahre Schrift geworden ist.

Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist. Nennt man dagegen Schrift im weitläufigsten Verstande jede Gedanken-Mittheilung, die durch Laute geschieht, d. h. bei welcher der Schreibende sich Worte denkt, und welche der Lesende in Worte, wenn gleich nicht in dieselben, übersetzt (eine Bestimmung, ohne die es gar keine Gränze zwischen Bild und Schrift geben würde), so liegt zwischen diesen beiden Endpunkten ein weiter Raum für mannigfaltige Grade der Schriftvollkommenheit. Diese hangt nemlich davon ab, inwieweit der Gebrauch die Beschaffenheit der Zeichen mehr oder weniger an bestimmte Wörter, oder auch nur Gedanken gebunden hat, und mithin die Entzifferung sich mehr oder weniger dem wirklichen Ablesen nähert, und in diesem Raum, ohne den Begriff wahrer Schrift zu erreichen,

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[186/0026] willkührlich scheinenden Zeichen zum Theil ursprünglich Bilder waren, ist aber, und gerade in Rücksicht auf die Sprache, von erheblicher Wichtigkeit, wie man an der Mexicanischen und Peruanischen zeigen kann. Die Mexicanischen Hieroglyphen hatten einen nicht geringen Grad der Vollkommenheit erreicht; sie bewahrten offenbar den Gedanken durch sich selbst, da sie noch heute verständlich sind, sie unterschieden sich auch bisweilen deutlich von bloßen Bildern. Denn wenn auch z. B. der Begriff der Eroberung in ihnen meistentheils durch den Kampf zweier Krieger vorgestellt wird, so findet man doch auch den sitzenden König mit seinem Namenszeichen, dann Waffen, als Tropheen gebildet, und das Sinnbild der eroberten Stadt, welches zusammengenommen die deutliche Phrase: der König eroberte die Stadt, und eine viel bestimmter ausgedruckte ist, als die berühmte Saitische Inschrift, die als die einzige angeführt zu werden pflegt, wo sich in dem Zeugniß des Alterthums zugleich Bedeutung und Zeichen erhalten haben. Man sieht auch aus dem eben Gesagten, daß es nicht an Mitteln fehlte, auch Namen zu schreiben, und man daher auf dem Wege war, Lautzeichen in der Art der Chinesischen zu besitzen. Dennoch ist sehr zu bezweifeln, ob die Mexicanische Hieroglyphik jemals wahre Schrift geworden ist. Denn wahre Schrift kann man nur diejenige nennen, welche bestimmte Wörter in bestimmter Folge andeutet, was, auch ohne Buchstaben, durch Begriffszeichen, und selbst durch Bilder möglich ist. Nennt man dagegen Schrift im weitläufigsten Verstande jede Gedanken-Mittheilung, die durch Laute geschieht, d. h. bei welcher der Schreibende sich Worte denkt, und welche der Lesende in Worte, wenn gleich nicht in dieselben, übersetzt (eine Bestimmung, ohne die es gar keine Gränze zwischen Bild und Schrift geben würde), so liegt zwischen diesen beiden Endpunkten ein weiter Raum für mannigfaltige Grade der Schriftvollkommenheit. Diese hangt nemlich davon ab, inwieweit der Gebrauch die Beschaffenheit der Zeichen mehr oder weniger an bestimmte Wörter, oder auch nur Gedanken gebunden hat, und mithin die Entzifferung sich mehr oder weniger dem wirklichen Ablesen nähert, und in diesem Raum, ohne den Begriff wahrer Schrift zu erreichen,

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Zitationshilfe: Humboldt, Wilhelm von: Ueber die Buchstabenschrift und ihren Zusammenhang mit dem Sprachbau. In: Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Berlin, 1826. S. 161-188, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_sprachbau_1826/26>, abgerufen am 26.04.2024.