land von Tocuyo, Quibor und Barquesimeto, das die Küsten- bergkette mit der Sierra Nevada von Merida verbindet. Der Getreidebau hat sich dort sehr gut erhalten, und allein aus der Umgegend der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen 5000 Zentner ausgezeichneten Mehls ausgeführt. Obgleich aber auf dem weiten Gebiete der Provinz Caracas mehrere Striche sich sehr gut zum Kornbau eignen, so glaube ich doch, daß dieser Zweig der Landwirtschaft dort nie eine große Be- deutung erlangen wird. Die gemäßigtsten Teile sind nicht breit genug; es sind keine eigentlichen Hochebenen und ihre mittlere Meereshöhe ist nicht so bedeutend, daß die Einwohner es nicht immer noch vorteilhafter fänden, Kaffee statt Getreide zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas sein Mehl entweder aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn ein- mal mit der Herstellung der öffentlichen Ruhe auch für den Gewerbefleiß bessere Zeiten kommen und von Santa Fe de Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro eine Straße gebaut wird, so werden die Einwohner von Venezuela ihr Mehl aus Neugranada auf dem Rio Meta und dem Orinoko beziehen.
Achtzehn Kilometer von San Mateo liegt das Dorf Turmero. Man kommt fortwährend durch Zucker-, Indigo-, Baumwollen- und Kaffeepflanzungen. An der regelmäßigen Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und den Missionen den Ursprung verdanken. Die Straßen sind gerade, untereinander parallel und schneiden sich unter rechten Winkeln; auf dem großen viereckigen Platz in der Mitte steht die Kirche. Die Kirche von Turmero ist ein kostbares, aber mit archtiktonischen Zieraten überladenes Gebäude. Seit die Missionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die letzteren verschwinden nach und nach als besondere Rasse, das heißt, sie werden in der Gesamtmasse der Bevölkerung durch die Mestizen und die Zambos repräsentiert, deren Anzahl fortwährend zunimmt. Indessen habe ich in den Thälern von Aragua noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In Turmero und Guacara sind sie am zahlreichsten. Sie sind klein, aber nicht so untersetzt wie die Chaymas; ihr Auge verrät mehr Leben und Verstand, was wohl weniger Folge der Stammverschiedenheit als der höheren Civilisation ist. Sie arbeiten, wie die freien Leute, im Tagelohn; sie sind in der kurzen Zeit, in der sie arbeiten, rührig und fleißig; was
land von Tocuyo, Quibor und Barqueſimeto, das die Küſten- bergkette mit der Sierra Nevada von Merida verbindet. Der Getreidebau hat ſich dort ſehr gut erhalten, und allein aus der Umgegend der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen 5000 Zentner ausgezeichneten Mehls ausgeführt. Obgleich aber auf dem weiten Gebiete der Provinz Caracas mehrere Striche ſich ſehr gut zum Kornbau eignen, ſo glaube ich doch, daß dieſer Zweig der Landwirtſchaft dort nie eine große Be- deutung erlangen wird. Die gemäßigtſten Teile ſind nicht breit genug; es ſind keine eigentlichen Hochebenen und ihre mittlere Meereshöhe iſt nicht ſo bedeutend, daß die Einwohner es nicht immer noch vorteilhafter fänden, Kaffee ſtatt Getreide zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas ſein Mehl entweder aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn ein- mal mit der Herſtellung der öffentlichen Ruhe auch für den Gewerbefleiß beſſere Zeiten kommen und von Santa Fé de Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro eine Straße gebaut wird, ſo werden die Einwohner von Venezuela ihr Mehl aus Neugranada auf dem Rio Meta und dem Orinoko beziehen.
Achtzehn Kilometer von San Mateo liegt das Dorf Turmero. Man kommt fortwährend durch Zucker-, Indigo-, Baumwollen- und Kaffeepflanzungen. An der regelmäßigen Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und den Miſſionen den Urſprung verdanken. Die Straßen ſind gerade, untereinander parallel und ſchneiden ſich unter rechten Winkeln; auf dem großen viereckigen Platz in der Mitte ſteht die Kirche. Die Kirche von Turmero iſt ein koſtbares, aber mit archtiktoniſchen Zieraten überladenes Gebäude. Seit die Miſſionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die letzteren verſchwinden nach und nach als beſondere Raſſe, das heißt, ſie werden in der Geſamtmaſſe der Bevölkerung durch die Meſtizen und die Zambos repräſentiert, deren Anzahl fortwährend zunimmt. Indeſſen habe ich in den Thälern von Aragua noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In Turmero und Guacara ſind ſie am zahlreichſten. Sie ſind klein, aber nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas; ihr Auge verrät mehr Leben und Verſtand, was wohl weniger Folge der Stammverſchiedenheit als der höheren Civiliſation iſt. Sie arbeiten, wie die freien Leute, im Tagelohn; ſie ſind in der kurzen Zeit, in der ſie arbeiten, rührig und fleißig; was
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land von Tocuyo, Quibor und Barqueſimeto, das die Küſten-
bergkette mit der Sierra Nevada von Merida verbindet. Der
Getreidebau hat ſich dort ſehr gut erhalten, und allein aus
der Umgegend der Stadt Tocuyo werden jährlich gegen
5000 Zentner ausgezeichneten Mehls ausgeführt. Obgleich
aber auf dem weiten Gebiete der Provinz Caracas mehrere
Striche ſich ſehr gut zum Kornbau eignen, ſo glaube ich doch,
daß dieſer Zweig der Landwirtſchaft dort nie eine große Be-
deutung erlangen wird. Die gemäßigtſten Teile ſind nicht
breit genug; es ſind keine eigentlichen Hochebenen und ihre
mittlere Meereshöhe iſt nicht ſo bedeutend, daß die Einwohner
es nicht immer noch vorteilhafter fänden, Kaffee ſtatt Getreide
zu bauen. Gegenwärtig bezieht Caracas ſein Mehl entweder
aus Spanien oder aus den Vereinigten Staaten. Wenn ein-
mal mit der Herſtellung der öffentlichen Ruhe auch für den
Gewerbefleiß beſſere Zeiten kommen und von Santa Fé de
Bogota bis zum Landungsplatz am Pachaquiaro eine Straße
gebaut wird, ſo werden die Einwohner von Venezuela ihr
Mehl aus Neugranada auf dem Rio Meta und dem Orinoko
beziehen.
Achtzehn Kilometer von San Mateo liegt das Dorf
Turmero. Man kommt fortwährend durch Zucker-, Indigo-,
Baumwollen- und Kaffeepflanzungen. An der regelmäßigen
Bauart der Dörfer erkennt man, daß alle den Mönchen und
den Miſſionen den Urſprung verdanken. Die Straßen ſind
gerade, untereinander parallel und ſchneiden ſich unter rechten
Winkeln; auf dem großen viereckigen Platz in der Mitte ſteht
die Kirche. Die Kirche von Turmero iſt ein koſtbares, aber
mit archtiktoniſchen Zieraten überladenes Gebäude. Seit die
Miſſionäre den Pfarrern Platz gemacht, haben die Weißen
manches von den Sitten der Indianer angenommen. Die
letzteren verſchwinden nach und nach als beſondere Raſſe, das
heißt, ſie werden in der Geſamtmaſſe der Bevölkerung durch
die Meſtizen und die Zambos repräſentiert, deren Anzahl
fortwährend zunimmt. Indeſſen habe ich in den Thälern von
Aragua noch 4000 zinspflichtige Indianer angetroffen. In
Turmero und Guacara ſind ſie am zahlreichſten. Sie ſind
klein, aber nicht ſo unterſetzt wie die Chaymas; ihr Auge
verrät mehr Leben und Verſtand, was wohl weniger Folge
der Stammverſchiedenheit als der höheren Civiliſation iſt.
Sie arbeiten, wie die freien Leute, im Tagelohn; ſie ſind in
der kurzen Zeit, in der ſie arbeiten, rührig und fleißig; was
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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/200>, abgerufen am 26.04.2024.
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