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Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859.

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Von Anfang des Jahres 1811 bis 1813 wurde ein be-
trächtliches Stück der Erdfläche zwischen den Azoren und dem
Thale des Ohio, den Kordilleren von Neugranada, den Küsten
von Venezuela und den Vulkanen der Kleinen Antillen fast
zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erschüttert, die man einem
unterirdischen Feuerherde zuschreiben kann. Ich zähle hier
die Erscheinungen auf, welche es wahrscheinlich machen, daß
auf ungeheure Distanzen Verbindungen bestehen. Am 30. Ja-
nuar 1811 brach bei einer der Azorischen Inseln, bei San
Michael, ein unterseeischer Vulkan aus. An einer Stelle, wo
die See 110 m tief ist, hob sich ein Fels über den Wasser-
spiegel. Die erweichte Erdkruste scheint emporgehoben worden
zu sein, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie
dies auch bei den Vulkanen von Jorullo in Mexiko und bei
der Bildung der Insel Klein-Kameni bei Santorin beobachtet
wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war anfangs nur
eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein sechstägiger Aus-
bruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach
97 m über dem Meeresspiegel hoch wurde. Dieses neue Land,
das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritannischen
Regierung in Besitz nahm und Sabrina nannte, hatte 1750 m
Durchmesser. Das Meer scheint die Insel wieder verschlungen
zu haben. Es ist dies das dritte Mal, daß bei der Insel
San Michael unterseeische Vulkane so außerordentliche Er-
scheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieser
Vulkane an eine gewisse Periode gebunden, in der sich jedes-
mal elastische Flüssigkeiten bis zu einem bestimmten Grade
angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder
92 Jahren wieder zum Vorschein. Es ist zu bedauern, daß
trotz der Nähe keine europäische Regierung, keine gelehrte
Gesellschaft Physiker und Geologen nach den Azoren geschickt
hat, um eine Erscheinung näher untersuchen zu lassen, durch
welche für die Geschichte der Vulkane und des Erdballes über-
haupt so viel gewonnen werden konnte.

Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erschien, wurden
die Kleinen Antillen, 3600 km südwestwärts von den Azoren
gelegen, häufig von Erdbeben heimgesucht. Vom Mai 1811
bis April 1812 spürte man auf der Insel San Vincent,
einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über 200 Erd-
stöße. Die Bewegungen beschränkten sich aber nicht auf das
Inselgebiet von Südamerika. Vom 16. Dezember 1811 an
bebte die Erde in den Thälern des Mississippi, des Arkansas

Von Anfang des Jahres 1811 bis 1813 wurde ein be-
trächtliches Stück der Erdfläche zwiſchen den Azoren und dem
Thale des Ohio, den Kordilleren von Neugranada, den Küſten
von Venezuela und den Vulkanen der Kleinen Antillen faſt
zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erſchüttert, die man einem
unterirdiſchen Feuerherde zuſchreiben kann. Ich zähle hier
die Erſcheinungen auf, welche es wahrſcheinlich machen, daß
auf ungeheure Diſtanzen Verbindungen beſtehen. Am 30. Ja-
nuar 1811 brach bei einer der Azoriſchen Inſeln, bei San
Michael, ein unterſeeiſcher Vulkan aus. An einer Stelle, wo
die See 110 m tief iſt, hob ſich ein Fels über den Waſſer-
ſpiegel. Die erweichte Erdkruſte ſcheint emporgehoben worden
zu ſein, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie
dies auch bei den Vulkanen von Jorullo in Mexiko und bei
der Bildung der Inſel Klein-Kameni bei Santorin beobachtet
wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war anfangs nur
eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein ſechstägiger Aus-
bruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach
97 m über dem Meeresſpiegel hoch wurde. Dieſes neue Land,
das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritanniſchen
Regierung in Beſitz nahm und Sabrina nannte, hatte 1750 m
Durchmeſſer. Das Meer ſcheint die Inſel wieder verſchlungen
zu haben. Es iſt dies das dritte Mal, daß bei der Inſel
San Michael unterſeeiſche Vulkane ſo außerordentliche Er-
ſcheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieſer
Vulkane an eine gewiſſe Periode gebunden, in der ſich jedes-
mal elaſtiſche Flüſſigkeiten bis zu einem beſtimmten Grade
angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder
92 Jahren wieder zum Vorſchein. Es iſt zu bedauern, daß
trotz der Nähe keine europäiſche Regierung, keine gelehrte
Geſellſchaft Phyſiker und Geologen nach den Azoren geſchickt
hat, um eine Erſcheinung näher unterſuchen zu laſſen, durch
welche für die Geſchichte der Vulkane und des Erdballes über-
haupt ſo viel gewonnen werden konnte.

Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erſchien, wurden
die Kleinen Antillen, 3600 km ſüdweſtwärts von den Azoren
gelegen, häufig von Erdbeben heimgeſucht. Vom Mai 1811
bis April 1812 ſpürte man auf der Inſel San Vincent,
einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über 200 Erd-
ſtöße. Die Bewegungen beſchränkten ſich aber nicht auf das
Inſelgebiet von Südamerika. Vom 16. Dezember 1811 an
bebte die Erde in den Thälern des Miſſiſſippi, des Arkanſas

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[151/0159] Von Anfang des Jahres 1811 bis 1813 wurde ein be- trächtliches Stück der Erdfläche zwiſchen den Azoren und dem Thale des Ohio, den Kordilleren von Neugranada, den Küſten von Venezuela und den Vulkanen der Kleinen Antillen faſt zu gleicher Zeit durch heftige Stöße erſchüttert, die man einem unterirdiſchen Feuerherde zuſchreiben kann. Ich zähle hier die Erſcheinungen auf, welche es wahrſcheinlich machen, daß auf ungeheure Diſtanzen Verbindungen beſtehen. Am 30. Ja- nuar 1811 brach bei einer der Azoriſchen Inſeln, bei San Michael, ein unterſeeiſcher Vulkan aus. An einer Stelle, wo die See 110 m tief iſt, hob ſich ein Fels über den Waſſer- ſpiegel. Die erweichte Erdkruſte ſcheint emporgehoben worden zu ſein, ehe die Flammen aus dem Krater hervorbrachen, wie dies auch bei den Vulkanen von Jorullo in Mexiko und bei der Bildung der Inſel Klein-Kameni bei Santorin beobachtet wurde. Das neue Eiland bei den Azoren war anfangs nur eine Klippe, aber am 15. Juli erfolgte ein ſechstägiger Aus- bruch, durch den die Klippe immer größer und nach und nach 97 m über dem Meeresſpiegel hoch wurde. Dieſes neue Land, das Kapitän Tillard alsbald im Namen der großbritanniſchen Regierung in Beſitz nahm und Sabrina nannte, hatte 1750 m Durchmeſſer. Das Meer ſcheint die Inſel wieder verſchlungen zu haben. Es iſt dies das dritte Mal, daß bei der Inſel San Michael unterſeeiſche Vulkane ſo außerordentliche Er- ſcheinungen hervorbringen, und als wären die Ausbrüche dieſer Vulkane an eine gewiſſe Periode gebunden, in der ſich jedes- mal elaſtiſche Flüſſigkeiten bis zu einem beſtimmten Grade angehäuft, kam das emporgehobene Eiland je nach 91 oder 92 Jahren wieder zum Vorſchein. Es iſt zu bedauern, daß trotz der Nähe keine europäiſche Regierung, keine gelehrte Geſellſchaft Phyſiker und Geologen nach den Azoren geſchickt hat, um eine Erſcheinung näher unterſuchen zu laſſen, durch welche für die Geſchichte der Vulkane und des Erdballes über- haupt ſo viel gewonnen werden konnte. Zur Zeit, als das neue Eiland Sabrina erſchien, wurden die Kleinen Antillen, 3600 km ſüdweſtwärts von den Azoren gelegen, häufig von Erdbeben heimgeſucht. Vom Mai 1811 bis April 1812 ſpürte man auf der Inſel San Vincent, einer der drei Antillen mit thätigen Vulkanen, über 200 Erd- ſtöße. Die Bewegungen beſchränkten ſich aber nicht auf das Inſelgebiet von Südamerika. Vom 16. Dezember 1811 an bebte die Erde in den Thälern des Miſſiſſippi, des Arkanſas

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Zitationshilfe: Humboldt, Alexander von: Reise in die Aequinoktial-Gegenden des neuen Kontinents. Bd. 2. Übers. v. Hermann Hauff. Stuttgart, 1859, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/humboldt_aequinoktial02_1859/159>, abgerufen am 26.04.2024.