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Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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schaft hatte auch gerade keine lebhafte Sehnsucht empfunden nach dem Umgänge mit einem unbeliebten Herrn Vetter, der für den Tyrannen seiner armen kleinen Frau und nebenbei für einen unausstehlichen Rechthaber galt. Sie und die Freundschaft waren, nach ihrem eigenen Ausdrucke, "aussammen" gekommen. Das Bombardement, wenige Tage nach dem Begräbnisse ernstlich beginnend, schreckte die Einsame auf, daß sie Zuflucht bei anderen Menschen suchte. Sie steckte ihr bischen baares Geld zu sich, stopfte ihre Hypotheken in einen mächtigen Arbeitsbeutel, nahm ihren dunkelbraunen Wollenmantel aus Serge de Brie (will sagen: Berry) um, verschloß ihre Wohnung und schlüpfte wie ein Wiesel durch die menschenleeren, verödeten Gassen, unterschiedliche Kugeln, so neben ihr aufs Steinpflaster schlugen, keiner besondern Aufmerksamkeit würdigend, weil sie nicht im Entferntesten an Lebensgefahr dabei dachte. So kam sie bei Tiesel's an, wo die Kinder, um ihre Mutter gedrängt, in athemloser Spannung dem Donner des Geschützes lauschten.

Die Muhme-Lieutnanten! hieß es aus Aller Mund. Und: Wo kommen Sie denn her, Frau Muhme, um Gotteswillen? fragte Frau Tiesel, sehr verwundert über den Gleichmuth des kleinen Weibleins mitten im Kugelregen.

Wawerle stattete Bericht ab von den närrischen Dingern, die am Erdboden hinstrichen oder curiose Bogen machten über die Häuser hinweg, die ihr aber

schaft hatte auch gerade keine lebhafte Sehnsucht empfunden nach dem Umgänge mit einem unbeliebten Herrn Vetter, der für den Tyrannen seiner armen kleinen Frau und nebenbei für einen unausstehlichen Rechthaber galt. Sie und die Freundschaft waren, nach ihrem eigenen Ausdrucke, „aussammen“ gekommen. Das Bombardement, wenige Tage nach dem Begräbnisse ernstlich beginnend, schreckte die Einsame auf, daß sie Zuflucht bei anderen Menschen suchte. Sie steckte ihr bischen baares Geld zu sich, stopfte ihre Hypotheken in einen mächtigen Arbeitsbeutel, nahm ihren dunkelbraunen Wollenmantel aus Serge de Brie (will sagen: Berry) um, verschloß ihre Wohnung und schlüpfte wie ein Wiesel durch die menschenleeren, verödeten Gassen, unterschiedliche Kugeln, so neben ihr aufs Steinpflaster schlugen, keiner besondern Aufmerksamkeit würdigend, weil sie nicht im Entferntesten an Lebensgefahr dabei dachte. So kam sie bei Tiesel's an, wo die Kinder, um ihre Mutter gedrängt, in athemloser Spannung dem Donner des Geschützes lauschten.

Die Muhme-Lieutnanten! hieß es aus Aller Mund. Und: Wo kommen Sie denn her, Frau Muhme, um Gotteswillen? fragte Frau Tiesel, sehr verwundert über den Gleichmuth des kleinen Weibleins mitten im Kugelregen.

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:49:22Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T11:49:22Z)

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Zitationshilfe: Holtei, Karl von: 's Muhme-Leutnant-Saloppel. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 12. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 195–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/holtei_saloppel_1910/10>, abgerufen am 26.04.2024.