DJe poesie hat allezeit ihre liebhaber und tadler gefunden, ob wohl jener ihre anzahl fast immer die gröste ge- wesen, und über diese triumphieret hat. Jch könnte hiervon eine weit- läufftige historie verfertigen, wenn solches die enge einer vorrede erlaubete; so aber wird es hoffentlich genug seyn, wenn ich blos die gründe, so einige, die poesie zu tadeln, andere aber herauszu- streichen, bewegen, anführen und beurtheilen werde. Denn ich bin allerdings der unvorgreifflichen mei- nung: daß man auf beyden seiten über die schnur gehauen, und in denen deßfalls von der gesunden vernunfft gesetzten grentzen nicht geblieben sey.
2. Man erwege nur die der ticht-kunst von ihren liebhabern beygelegten lobsprüche, so werden sich meine worte von sich selbst rechtfertigen. Jst es nicht der sache zu viel gethan, wenn sie ihr den vor- zug vor allen wissenschafften gegeben? den ihr doch nicht einmahl alle freyen künste gestatten dörffen. Das schlimmste ist, daß diese auf heydnischen grund gebauete meinung auch so gar unter den so genann- ten Christlichen scridenten mode geworden. Es ist in wahrheit recht erbärmlich, daß man sich noch im- mer beredet: Die poesie sey eine sprache der götter;
da
Vorrede.
DJe poeſie hat allezeit ihre liebhaber und tadler gefunden, ob wohl jener ihre anzahl faſt immer die groͤſte ge- weſen, und uͤber dieſe triumphieret hat. Jch koͤnnte hiervon eine weit- laͤufftige hiſtorie verfertigen, wenn ſolches die enge einer vorrede erlaubete; ſo aber wird es hoffentlich genug ſeyn, wenn ich blos die gruͤnde, ſo einige, die poeſie zu tadeln, andere aber herauszu- ſtreichen, bewegen, anfuͤhren und beurtheilen werde. Denn ich bin allerdings der unvorgreifflichen mei- nung: daß man auf beyden ſeiten uͤber die ſchnur gehauen, und in denen deßfalls von der geſunden vernunfft geſetzten grentzen nicht geblieben ſey.
2. Man erwege nur die der ticht-kunſt von ihren liebhabern beygelegten lobſpruͤche, ſo werden ſich meine worte von ſich ſelbſt rechtfertigen. Jſt es nicht der ſache zu viel gethan, wenn ſie ihr den vor- zug vor allen wiſſenſchafften gegeben? den ihr doch nicht einmahl alle freyen kuͤnſte geſtatten doͤrffen. Das ſchlimmſte iſt, daß dieſe auf heydniſchen grund gebauete meinung auch ſo gar unter den ſo genann- ten Chriſtlichen ſcridenten mode geworden. Es iſt in wahrheit recht erbaͤrmlich, daß man ſich noch im- mer beredet: Die poeſie ſey eine ſprache der goͤtter;
da
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[0008]
Vorrede.
DJe poeſie hat allezeit ihre liebhaber
und tadler gefunden, ob wohl jener
ihre anzahl faſt immer die groͤſte ge-
weſen, und uͤber dieſe triumphieret
hat. Jch koͤnnte hiervon eine weit-
laͤufftige hiſtorie verfertigen, wenn
ſolches die enge einer vorrede erlaubete; ſo aber wird
es hoffentlich genug ſeyn, wenn ich blos die gruͤnde,
ſo einige, die poeſie zu tadeln, andere aber herauszu-
ſtreichen, bewegen, anfuͤhren und beurtheilen werde.
Denn ich bin allerdings der unvorgreifflichen mei-
nung: daß man auf beyden ſeiten uͤber die ſchnur
gehauen, und in denen deßfalls von der geſunden
vernunfft geſetzten grentzen nicht geblieben ſey.
2. Man erwege nur die der ticht-kunſt von ihren
liebhabern beygelegten lobſpruͤche, ſo werden ſich
meine worte von ſich ſelbſt rechtfertigen. Jſt es
nicht der ſache zu viel gethan, wenn ſie ihr den vor-
zug vor allen wiſſenſchafften gegeben? den ihr doch
nicht einmahl alle freyen kuͤnſte geſtatten doͤrffen.
Das ſchlimmſte iſt, daß dieſe auf heydniſchen grund
gebauete meinung auch ſo gar unter den ſo genann-
ten Chriſtlichen ſcridenten mode geworden. Es iſt
in wahrheit recht erbaͤrmlich, daß man ſich noch im-
mer beredet: Die poeſie ſey eine ſprache der goͤtter;
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Hofmannswaldau, Christian Hofmann von: Herrn von Hofmannswaldau und andrer Deutschen auserlesene und bißher ungedruckte Gedichte. Bd. 6. Leipzig, 1709, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmannswaldau_gedichte06_1709/8>, abgerufen am 21.11.2024.
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