Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich: Unpolitische Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1841.Eine Frage an ein Hoch-, Hochwohl- und Wohlgebornes Publicum. Denn des Menschen größte SündeCalderon, "Das Leben ein Traum." Wir sind geboren, hochgeboren, Hochwohl- und wohlgeboren wir: Das ist der Weisen und der Thoren, Des Bürgers und des Adels Zier. Geboren sein ist Titel, Ehr' und Ruhm, Ein altes treu bewahrtes Heiligthum. Und wirst du nie, mein Volk, auf Erden Von den Geburtswehn dich befrei'n? Und wirst du niemals etwas werden, Und niemals hoch und wohler sein? Bist du ein Volk das nur geboren ist Und alles Sein und Werden ganz vergißt? Eine Frage an ein Hoch-, Hochwohl- und Wohlgebornes Publicum. Denn des Menſchen größte SündeCalderon, „Das Leben ein Traum.“ Wir ſind geboren, hochgeboren, Hochwohl- und wohlgeboren wir: Das iſt der Weiſen und der Thoren, Des Bürgers und des Adels Zier. Geboren ſein iſt Titel, Ehr' und Ruhm, Ein altes treu bewahrtes Heiligthum. Und wirſt du nie, mein Volk, auf Erden Von den Geburtswehn dich befrei'n? Und wirſt du niemals etwas werden, Und niemals hoch und wohler ſein? Biſt du ein Volk das nur geboren iſt Und alles Sein und Werden ganz vergißt? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0049" n="29"/> </div> <div n="2"> <head><hi rendition="#b">Eine Frage</hi><lb/><hi rendition="#g">an ein Hoch-, Hochwohl- und Wohlgebornes<lb/> Publicum</hi>.<lb/></head> <cit> <quote> <hi rendition="#et">Denn des Menſchen größte Sünde<lb/> Iſt, daß er geboren ward.</hi><lb/> </quote> <bibl> <hi rendition="#right">Calderon, „Das Leben ein Traum.“</hi><lb/> </bibl> </cit> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wir ſind geboren, hochgeboren,</l><lb/> <l>Hochwohl- und wohlgeboren wir:</l><lb/> <l>Das iſt der Weiſen und der Thoren,</l><lb/> <l>Des Bürgers und des Adels Zier.</l><lb/> <l>Geboren ſein iſt Titel, Ehr' und Ruhm,</l><lb/> <l>Ein altes treu bewahrtes Heiligthum.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Und wirſt du nie, mein Volk, auf Erden</l><lb/> <l>Von den Geburtswehn dich befrei'n?</l><lb/> <l>Und wirſt du niemals etwas <hi rendition="#g">werden</hi>,</l><lb/> <l>Und niemals hoch und wohler <hi rendition="#g">ſein</hi>?</l><lb/> <l>Biſt du ein Volk das nur geboren iſt</l><lb/> <l>Und alles Sein und Werden ganz vergißt?</l><lb/> </lg> </lg> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [29/0049]
Eine Frage
an ein Hoch-, Hochwohl- und Wohlgebornes
Publicum.
Denn des Menſchen größte Sünde
Iſt, daß er geboren ward.
Calderon, „Das Leben ein Traum.“
Wir ſind geboren, hochgeboren,
Hochwohl- und wohlgeboren wir:
Das iſt der Weiſen und der Thoren,
Des Bürgers und des Adels Zier.
Geboren ſein iſt Titel, Ehr' und Ruhm,
Ein altes treu bewahrtes Heiligthum.
Und wirſt du nie, mein Volk, auf Erden
Von den Geburtswehn dich befrei'n?
Und wirſt du niemals etwas werden,
Und niemals hoch und wohler ſein?
Biſt du ein Volk das nur geboren iſt
Und alles Sein und Werden ganz vergißt?
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